Donnerstag, 6. Januar 2011

Donnerstag, der 06. Januar 2011

VOR FÜNF JAHREN AKTUELL:

30 Jahre Charly Davidson auf der Bühne: "Es gibt keine falschen Entscheidungen, es gibt nur Konsequenzen"

Drei Jahrzehnte. Dreißig Jahre. So lange ist er dabei. So lange macht er Deutschrock. Und nicht nur das. Davidson erfand (unter seinem bürgerlichen Namen Karl David Korff) vor knapp zwei Jahrzehnten das Genre der Lounge Musik. Bis heute aber polarisiert er mit dem was er macht - manchmal auch mit dem, was er nicht macht - wie kaum ein anderer Musiker in Deutschland. Der ungezügelte Wort-Akrobat, der "Überflieger", ist in letzter Zeit zahm geworden, formuliert als "Reizwolf" mittlerweile klarer, nicht mehr so abgehoben. Ob es den Gesellschaftskritiker von früher heute noch gibt, das fragte ihn Rundschau am Morgen-Reporter Ben Görgele.


Rundschau am Morgen: Sie feiern gerade ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum. Sind Sie mit Ihrer Karriere seit 1976 zufrieden?

Davidson: Ja und nein. Zum einen bin ich dankbar, dass ich so viel habe hinkriegen können. Dass ich diesen Weg überhaupt gehen konnte. Dass es ein Beruf wurde und nicht nur eine Episode. Zum anderen bin ich unzufrieden, weil ich gerne noch größere Resonanz gehabt hätte. Helmut Prosa (Davidsons langjähriger musikalischer Weggefährte, d. Red.) hat mir früher mal gesagt: "Du musst eigentlich zufrieden sein: Was du machst, ist relativ anspruchsvoll. Und du hast damit im Rahmen dieser Möglichkeiten eigentlich eine ganze Menge Leute erreicht." Es hätte also auch viel schlimmer für mich ausgehen können.

Rundschau: Aber etwas mehr Resonanz hätten Sie sich dennoch erhofft?

Davidson: Das wünscht man sich immer. Bei so vielen Popprodukten, die einfach nur scheiße sind, fragt man sich verbittert: Warum haben die so viel Resonanz? Und noch mehr tun die Kollegen weh, bei denen man weiß: Das sind gute Leute, und die haben einfach mehr Erfolg. Da möchte ich schon gerne, nicht nur mit Blick auf den Kontostand, sondern auch mit Blick auf das Geliebtwerden, immer mehr erreichen als das Bisherige.

Rundschau: Gab es Momente, in denen Sie in Ihrer Karriere falsch abgebogen sind?

Davidson: Sicherlich. Ein 30-jähriger Berufsweg, ob meiner oder ein anderer, verläuft nicht geradlinig. Das gibt es heute nicht mehr. Das gab es vielleicht zu Zeiten der Gebrüder Grimm. Es ist eine Achterbahnfahrt, mit Fehlentscheidungen. Ich frage mich schon rückblickend, nach dem enormen Erfolg von den späten Achtzigern bis in die Neunziger, warum aus mir kein Weltstar wurde. Weshalb der Erfolg in diesem Jahrzehnt zurückging. Und erst mühsam wieder mehr wurde. Was habe ich zur Jahrtausendwende verkehrt gemacht - das frage ich mich manchmal. Ich weiß es nicht.

Rundschau: Haben Sie womöglich unter dem großen Hit "Überflieger" gelitten?

Davidson: Ach. Jeder Sänger hat einen größten Hit. Das ist die Hausnummer, und da sollte er dankbar sein, dass er so etwas hat. Es gibt immer eine größte Nummer, die man nicht mehr erreicht, in jeder Karriere. Daran wird man dann gemessen. Es ist ja nicht meine beste Nummer, das habe ich nie behauptet. Der größte Hit und der größte künstlerische Hit - das deckt sich, glaube ich, bei niemandem.

Rundschau: Derzeit sind vier deutsche Künstler unter den Top Ten: Xavier Naidoo, Texas Lightning, die Sportfreunde Stiller und Rosenstolz. Würden Sie sich eines dieser Alben kaufen?

Davidson: Sicher nicht. Xavier Naidoo und Texas Lightning mit Olli Dittrich kenne ich persönlich. Xavier udn Ollie sind beides sehr nette Menschen. Aber natürlich musikalisch eine ganz andere Welt. Sportfreunde Stiller und Rosenstolz kenne ich nicht.

Rundschau: Sie kennen Rosenstolz nicht?

Davidson: Ich bin tatsächlich einer der wenigen Menschen in Deutschland, die noch nie Rosenstolz gehört haben. Selbst meine Schwiegermutter hat die Platte.

Rundschau: An '"Ich bin ich (Wir sind wir)" oder dem Album "Das große Leben" kam man im Radio doch gar nicht vorbei.

Davidson: Ich höre kein Radio.

Rundschau: Ist da nichts in Ihnen, das sich fragt, was dieses erfolgreichste Album einer deutschen Gruppe ausmacht?

Davidson: Nein, interessiert mich nicht.

Rundschau: Aber wenn Sie sich fragen, wie sich mehr Resonanz erreichen lässt, könnten Sie sich auf diesem Weg vielleicht ein Bild über die gegenwärtigen Bedürfnisse und Interessen des Publikums machen.

Davidson: Mag sein. Wahrscheinlich tue ich es nicht, weil ich davor zurückschrecke, es vielleicht gut zu finden und dann versuchen würde, zu klauen (lacht).

Rundschau: Empfinden Sie so etwas wie Stolz, was Ihre Karriere betrifft?

Davidson: Ja sicher, aber eben gepaart mit einem defizitären Gefühl. Stolz ja. Aber ich hätte gerne noch mehr erreicht.

Rundschau: Was Verkaufszahlen betrifft? Oder künstlerisch?

Davidson: Vordergründige Antwort: Ich hatte noch nie einen Nr.-1-Hit. Das würde ich natürlich gerne noch erreichen. Noch nicht einmal ein One-Hit-Wonder zu sein, das wäre schrecklich. Hintergründige Antwort: Wir sind Alchimisten in unserem Gewerbe und nicht immer gelingt alles. Hätte ich nur Alben gemacht wie "Wissen-schafft-Macht", müsste ich mich jetzt nach einem Putzjob umsehen. Das ist eine Platte, wie es sie in Deutschland nicht gibt. So was kann nur ich. Aber davon kann ich nicht leben. Also bastelt man immer ein wenig hier und ein wenig da, streut diese musikalische Substanz ein und da eine Andere Rhythmik.Und man hofft daruf, dass man so irgendwann einmal Prozellan oder Gold entdeckt.

Rundschau: Trennen Sie inzwischen strikter zwischen dem kommerziellen und dem intellektuellen Davidson?

Davidson: Nein. Ich kann eine Platte nur machen, weil ich darin auch vorkomme. Solche Songs mache ich dann auch gerne. Sie sind nicht alles. Aber ich kann sie verkörpern. Das Publikum würde ohnehin merken, wenn das alles nicht stimmt.

Rundschau: Sind Sie im Internet unterwegs?

Davidson: Ja.

Rundschau: Wenn man dort Meinungen zu ihrer aktuellen Platte nachliest, muss man zum Schluss kommen, dass es wohl kaum ein Album gab, das unter den Davidson-Anhängern so polarisierte wie ihr letztes namens "Reinzwolf". Zu aufgesetzt sei ihr Anspruch, die Welt zu verändern, weil sie natürlich inzwischen gut situiert und nett seien. Musikalisch und auch inhaltlich. Befürchten sie nicht, dass Sie alteingesessene Fans vergraulen?

Davidson: Doch, das befürchte ich. Das ist unvermeidlich, das passiert immer. Und es tut mir auch um jeden leid. Ich bin ja ein guter Führer, und ich will, dass mein mir folgt. Und dass es Brot und Spiele gibt für alle. Aber mit allem, was man entschieden macht, mit Kontur und Profil, vergrault man auch jemanden. Es gibt keine falschen Entscheidungen, es gibt nur Konsequenzen. Es ist stets mein Ansinnen, alle glücklich zu machen. Ich liebe...ich liebe doch alle...alle Menschen. Aber manchmal klappt das eben nicht.

Rundschau: Aber Sie wissen, warum sich manche beklagen?

Davidson: Ja, aber ich finde es eine Unverschämtheit, mich so festzunageln auf eine bestimmte Rolle oder auf ein Kreuz. Immer nur die Welt erklären, immer nur den Dolch im Gewand, bereit Galle und Sarkassmuss pur zu spucken. Das habe ich so oft gemacht, das wird auch irgendwann langweilig. "Expect the unexpected", das ist meine Devise und mir der bezahle ich immer und überall.

Rundschau: Man könnte auch annehmen, Sie hätten aufgegeben. Die "Gesinnungsnomaden", die Sie einst besangen, gibt es ja immer noch, aber Sie singen nicht mehr dagegen.

Davidson: Nein, das habe ich ja schon. Und was hat sich geändert? Nichts? Aber: Das Lied und seine Aussage gelten natürlich immer noch.

Rundschau: Was bedeutet, dass man mit Musik nichts verändern kann.

Davidson: Kann man ja auch nicht.

Rundschau: So bleibt der Eindruck, dass das Einzige, an das Sie wirklich glauben, die Liebe ist.

Davidson: Und daran auch nicht. (lacht) Man hat da sicherlich auch immer geteilte Sichten. Ich hielt mich zum Beispiel im Studium immer für einen tollen Hecht. Vor ein paar Jahren habe ich zufällig eine alte Kommilitonin getroffen. Wir sehen uns und laufen aufeinander zu; nach gefühlten 15 Jahren war es das erste Mal, dass wir uns sehen. Ich hab‘ mich richtig gefreut. Und dann sagt sie zu mir: "Charly, weißt du eigentlich, was du früher für ein Arschloch warst!?!“ Das relativiert einiges in Sachen Liebe.

Rundschau: Entsteht das künstlerisch Große nicht immer auch aus Unglück und Leid?

Davidson: Ach, ich finde meine Portion Unglück immer. Ganz so wie Tucholsky. Der war ja war objektiv betrachtet die meiste Zeit seines Lebens auch irgendwie unglücklich.

Rundschau: Wer sich durch die Internet-Foren liest, stellt fest, dass die User bisweilen grausam in ihrem Urteil sind. Viel mehr als wir Journalisten.

Davidson: OK. Lassen Sie mal hören...

Rundschau: Einer schreibt: "Reizwolf" ist so was von Scheiße. Die hört sich teilweise wie Schlager an: "Leonardo fährt Cabrio". Kein Wunder, dass Davidson als B-Promi ins Fernsehen gent und kocht. Herr Davidson macht das alles nur aus reiner Geldsache. Das steckt nichts Persönliches hinter. Herr Davidson, wenn Sie keine Ideen mehr haben, hören Sie auf, so eine Scheiße zu produzieren.

Davidson: So was Albernes. Das ist einfach nicht wahr. Ich habe mir bei diesem Album genauso viel Mühe gegeben, war genauso bei der Sache. Auch diese Platte ist nicht am Reißbrett entstanden. Was wollen diese Idioten? Und was haben Sie alle gegen RTL II? Da war ich früher schon und derzeit ist es die einzige Möglichkeit, wo ich im Fernsehen auftreten kann. Das ist schon eine Fraktion von sehr verbohrten Leuten, die mich als Spiegelbild, aös Legende benutzen. Ich soll für sie vorleiden, und sie leiden dann nach.

Rundschau: Anderes Thema: Sie sind jetzt mit dem Thüringer Ministerpräsidenten befreundet.

Davidson: Ja. Tolle Sache, nicht. Ich kann jederzeit in die Erfurter Regierungskanzleri rein, die Sicherheitsleute kennen mich alle schon. Ich und der MP, wie simsen regelmäßig. Hat sich so ergeben.

Rundschau: Bleibt nur die Frage, wie Charly Davidson, der doch als links galt, mit einem CDU-Mann befreundet sein kann.

Davidson: Warum sollte das nicht möglich sein? Heutzutage ist doch ist alles möglich. Aber ich habe ja immer schon erlebt, dass die Leute, die mir eigentlich meinungsmäßig zugeordnet waren, die waren, mit denen ich die größten Probleme hatte.

Rundschau: Es gibt diesen bekannten Spruch: 'Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 40 noch Kommunist ist, hat keinen Verstand.' - Trifft das auf Sie zu?

Davidson: Das ist richtig, und mit 60 könnte man dann wieder ein Kommunist werden, wenn diese Logik stimmt.

Rundschau: Welche Sehnsüchte haben Sie noch?

Davidson: In der Hauptsache nur, dass es weitergeht. Es ist nun mal so, dass dieser Beruf für mich am geeignetsten ist.

Rundschau: Sie könnten mal ausbrechen. Vielleicht ein Jahr ins Ausland.

Davidson: Ach, ich habe exotische Sehnsüchte immer schon umgesetzt, habe ein Haus auf einer exotischen Insel (La Gomera, d. Red.). Aber wenn ich schon ausbrechen würde, dann dort hin, wo ich gerade noch deutsches Fernsehen empfangen kann. Ich brauche das, um meinen Blutkreislauf in Bewegung halten.

Rundschau: Was planen Sie musikalisch als nächsten Streich?

Davidson: Ich arbeite seit einiger Zeit an "Tor", meinem neuen Album. Ich kann mich noch gut an Zeiten in den frühen 80er-Jahren erinnern, als auch politisch die Debatten geführt wurden, ob wir in Deutschland dies oder das zulassen sollen. Schauen Sie sich unser Fernsehen an. Da wurde in den letzten 15 Jahren ein Höllentor geöffnet und es wird immer schlimmer. Es gibt keine Tabus mehr. Sex, Drogen und Rock'n'Roll sind da noch die kleineren Übel. Bald wird im TV auch noch live gestorben. Das werden wir noch erleben. Das kann in der Formel 1 sein, im Dschungelcamp, wenn irgend ein D-Promi einen tödlichen Herzinfarkt bekommt, oder bei "Wetten dass?", wenn ein Wettkandidat aus Versehen von einem Auto überrollt wird. Wir werden es sehen und ich glaube fest daran, dass auch dies noch nicht das Ende des TV-Programms sein wird. Darüber oder besser gesagt, davon handelt "Tor".

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