Montag, 17. Januar 2011

Montag, der 17. Januar 2011

Tanja Denk (geboren 1969), heute bei RTL, schreibt über ihre Begegnung mit Charly Charlyson, den sie 1999 für eine Sendung bei VIVA Zwei engagierte:

Charly Davidson war meine erste große Liebe. Ich war 13, als sein Album "Kontaktaufnahme" veröffentlicht wurde. Danach verehrte ich Davidson göttlich. Ich kannte jedes Wort seiner Songs auswendig, hörte sie ununterbrochen. An der Wand meines Zimmers hingen seine Coverhüllen, jeder konnte sie sehen und ich war mächtig stolz darauf, ein Davidson-Fan zu sein. Man muss dazu sagen, dass ich damals in einer kleinen Ortschaft in der Wetterau lebte und mit dem Bus zur Schule gefahen wurde.

Eines Montagmorgens bestieg ich den Schulbus, als an der nächsten Haltestelle andere Teenager einstiegen, die zur Gesamtschule wollten. Ich hatte meinenKassettenrekorder mitgenommen und spielte ihnen Davidson Songs vor. Vor allem der "Buschmann" gefiel mir damals sehr. Manche fanden es gut und so war ich total aus dem Häuschen. Aber genauso schnell, wie der Stolz kam, ging er auch wieder: Eine Klassenkameradin sagte, mt Nena käme Charly nicht mit.

Was für eine Demütigung. Ich hatte all meinen Mut zusammen genommen, weil ich ihnen zeigen wollte, dass in Charlys Songs eine Botschaft steckte, in jedem einzelnen seiner Songs, und erntete nun Spott und Hohn. Ich versank in meinem Sitz und hoffte, so schnell wie möglich aussteigen zu können.

Rund anderthalb Jahrzehnte später schrieb ich einen Brief an mein Jugendidol und bat um einen Gesprächstermin. Das war 1999, ich arbeitete damals für die Redaktion von VIVA Zwei. Es war ein Schuss ins Blaue, der Sender hatte nämlich eine überschaubare Reichweite, den offiziellen Weg über eine Anfrage bei der Plattenfirma brauchte ich deshalb gar nicht erst zu versuchen, die würden eh abwinken, das wusste ich.

Ich beschrieb ihm das Konzept unserer Show, die "Miete einen Star" hieß und einmal im Monat an einem Samstag lief. Einen ganzen Tag lang konnten sich Schulklassen einen Star "mieten", buchen traf es wohl besser. Und die konnten den Tag entweder mit ihm verbringen oder er bei ihnen. Mit Interviews, Besuch im Studio, Konzertvorbereitung - alles, was es an Möglichkeiten gab. Wir zeichneten das auf un dsendeten das dann von 18 bis 24 Uhr mit einer Wiederholung am Sonntag morgen.

Die Show erlaubte es uns, ungewöhnliches Material zu produzieren und sogar nie veröffentlichtes oder vergessenes Material zu senden, wie es echte Fans sehen wollten. Wir dachten, dass es für Künstler kaum etwas Verlockenderes geben konnte, als einen Abend lang einen Musiksender zu "kapern" und mit Homestories, Fankontakten und den ganzen alten Kram zu glänzen.

Ehrllicherweise muss man aber sagen, dass es eine gigantische Recyclingmaschine war für Stars, die ihren Karrierehöhepunkt bereits überschritten hatten, denn nie machte bei uns ein wirklicher aktueller Star mit. Der oder die hatten das nicht nötig - und dann auch noch bei VIVA 2? - Nee!

Aber ich schmeichelte Davidson, indem ich ihm schrieb, welche unauslöschlichen Spuren er in meinem bisherigen Frauenleben hinterlassen hatte. Außerdem wusste ich, dass seine Plattenfirma gerade mit "Rückspiegel" ein Best-Of-Album plante und dachte, dass es deshalb vielleicht nicht ganz unmöglich sein sollte, dass Charly sich auf mein Angebot einlassen würde. Deshalb wartete ich ungeduldig auf eine Antwort seines Managements. Erstaunlicherweise dauerte das nicht lange. Ein oder zwei Tage später rief jemand an, der Gesprächstermin stand, eine Woche später fuhr ich nach Jena, um dort im "Cafe Wagner" am Marktplatz mein Idol zu treffen.

Davidson kam rein, streckte mir die Hand entgegen und schaute mir tief in die Augen. In meinem Brief hatte ich ihm geschrieben, wie sehr mich seine Augen immer schon fasziniert hatten. Ich hatte ihm auch geschrieben, wie sehr er mir bei der Entdeckung meiner Persönlichkeit geholfen hatte und was für eine wichtige Person er in meinem Leben gewesen war.


Als er mir so gegenüber saß, sah er unfassbar unscheinbar aus. Er hatte ein beiges Cordsakko über einem T-Shirt an, trug Vollbart und eine Ray Ban Brille. Viele Künstler, die ich kannte, sahen so oder so ähnlich aus wie er: Kunze, Maurenbrecher, Klaus Lage, um nur einige zu nennen. Trotzdem war er immer noch eine der eindrucksvollsten Persönlichkeiten der damaligen Popwelt, ausgestattet mit einer Aura, die das Gegenüber gnadenlos verschlang. Nur wenige Popstars, die ich in meiner Zeit bei VIVA Zwei traf, oder heute bei RTL, hatten oder haben eine vergleichbare Aura. Das machte ihn schon zu etwas Besonderem.

Bevor das Gespräch richtig begann, sagte Charly zu mir, dass ihn mein Brief beeindruckt habe. Er könne sehr gut verstehen, wie empfänglich ich als Jugendliche für die Botschaft seiner Zeilen gewesen war. Ich hatte ihm auch geschrieben, dass ich mich damals, in den frühen achtziger Jahren, danach sehnte, meiner Existenz zu entfliehen. An vielen Abenden saß ich in dieser prägenden Phase vor einem Teleskop und starrte in den Nachthimmel. Ich hoffte, endlich dem kleinen Ort entkommen zu können, in dem ich damals lebte.

Auch er hatte als Jugendlicher mit seinem Teleskop den Weltraum erkundet, war großer Weltraumfahrt-Fan gewesen. Er konnte also absolut verstehen, mit dem Teleskop aus meiner eigenen Welt flüchten zu wollen. Das gab mir das Gefühl, mit ihm seelenverwandt zu sein - ein Gefühl, dass ich abstrakt schon seit der "Kontaktaufnahme" hatte, und das mich hier, in diesem Moment, tief berührte.

Während unseres Gesprächs ließ Davidson unablässig ein schweres, goldenes Feuerzeug zwischen seinen Fingern rotieren. Ich werde dieses Bild nie vergessen. Ich fragte ihn, was er den gerne an diesem Tag als "gemieteter Star" machen würde? Solle die Schulklasse zu ihm kommen oder er zur Schule? Davidson bevorzugte einen Besuch in seinem Stuiokomplex in Jena, der JenaFarm, wie er ihn nannte. Dort könne er auch live spielen, sagte er. Zwar ohne seine reguläre Band, aber mit seinem Partner Helmut Prosa könne er für VIVA Zwei eine Art Listening Session machen, und das machten wir dann auch so. Als Moderatorin wünschte er sich Charly Minh-Khai Phan-Thi.

Ohne Proben ging das damals los und auf dem Hof der JenaFarm drängte sich eine Schulklasse aus Stuttgart vor der Bühne. Davidson kam, die Gitarre lässig geschultert, hatte den Vollbart abrasiert. Dann schwang er sie, wie Elvis um seine Hüften nach vorne, sang sein berühmtes "15 Mann..."-Intro und spielte dann ein paar Akkorde zum Aufwären. Es folgte ihm Helmut Prosa auf die Bühne und während Minh-Khai die beiden anmoderierte, schaute Charly in meine Richtung und fragte dann: "Tanja, gibt es Songs, die du gerne hören würdest?"

Ich war wie vom Donner gerührt. Schließlich war ich ja keine VIVA Zwei Djane oder Moderatorin sondern arbeitete nur in der Redaktion. Ich hätte nie gedacht, dass Davidson mich in der Sendung kennen oder erwähnen würde. Aber er tat es. Ich stammelte in meiner Überraschung drei, vier Songnamen, die meisten davon aus seinen alten Alben. Und er spielet sie alle der Reihe nach. Ohne Probe, ohne Texthänger - einfach so.

Und obwohl die zwanzg Schülerinnen und Schüler da waren nebst Minh-Khai Phan-Thi, und später natürlich viele tausend TV-Zuschauer, hatte ich das Gefühl, dass er die Songs nur für mich spielen würde. Natürlich tat er das nicht. Und er wusste damals auch nicht, wie mich gerade diese Songs in meinem Leben beeinflusst hatte. Aber er wusste es, als wir uns Stunden nach dem Privatkonzert noch einmal gegenüber saßen. Ich sagte ihm, dass dieses Akustik-Set vor der Schulklasse zu einem der schönsten Ereignisse meines Lebens geworden war.

Schon in meinem Brief hatte ich ihm geschrieben, dass ich ihn zum ersten Mal auf einem Konzert im Jahre 1984 gesehen hatte. Ein Freund meiner Eltern hatte zwei Karten für einen Auftritt in Frankfurt am Main bekommen und nahm mich mit. Ich war damals 15 Jahre alt und habe eine lebhafte Erinnerung an das Konzert, weil es mein erstes Livekonzert war.

Ich hatte Davidson auch geschrieben, wie sehr mich schon damals sein Publikum beeindruckt hatte. So viele verschiedene, interessante Menschen. Am meisten beeindruckte mich damals natürlich Davidson selbst, dieser charismatische Performer, dieser Herr der Massen. Er verstand uns und wir verstanden ihn. Das veränderte mein Leben.


Vermutlich war es dieses Zusammengehörigkeitsgefühlt, verbunden damit, der Welt etwas mitteilen zu wollen, der seine Anhänger, mich inbegriffen, nacheifern wollten. Wahrscheinlich hatte ich deshalb den Jugendlichen im Bus seine Songs vorgespielt und vermutlich hatten sie recht gehabt, dass Charly nie die Qualität einer Nena hatte. Er war eben immer schon so sehr anders als andere Popstars.


Die Sendung damals wurde übrigens recht passabel, schadete ihm nicht, half aber seiner Karriereauch nicht wirklich voran, denn die stockte gerade ein wenig. Heute weiß ich: auch für Charly war unsere Sendung eine Recyclingmaschine, da er seinen Karrierehöhepunkt bereits überschritten hatten. Aber als großer Charly Davidson Fan, war mir das damals einfach entgangen. Wahrscheinlich in dem Moment, als er mir tief in meine Augen blickte.

VIVA Zwei lief dann noch weiter bis Ende 2001, dann kam mit VIVA + die Zeit der Endlosmusikschleifen im Fernsehen und der Dauerwerbung für Klingeltöne und Handytarife. Deshalb wechselteich 2002 zuerst zu VOX, wo ich für die Redaktion der Promi-Kochshow leitete und wechselte 2007 zu RTL Exklusiv. Charlys Tod hat mich, ebenso wie wahrscheinlich alle seine Fans, tief getroffen und ich wünschte mir, er wäre heute noch in unserer Welt.

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