Freitag, 15. Mai 2009

Freitag, der 15. Mai 2009

WELTRAUMSCHROTT - Das letzte Projekt von Charly Davidson

Tausende Mails hatte er vor sechs Jahren bekommen, als er beim Internetauktionshaus eBay Anzeigen schaltete, die suggerierten, er wolle Trümmerteile des abgestürzten Space Shuttles Columbia, bei dem sieben Astronauten ihr Leben verloren, verkaufen. Nun ist er selber tot und sein letztes Projekt bleibt möglicherweise für immer unvollendet: Ein Buch mit Hunderten anonymer E-Mail-Nachrichten - inklusive der Namen und Kontaktdaten ihrer Schreiber.

(Jena) - "Wegsperren und dann in die Luft jagen sollten sie dich", schrieb eine Hausfrau und nach eigenen Angaben "liebevolle" Mutter zweier Kindern aus den USA. "Stirb, Du Drecksau! Ich werde dich lange leiden lassen", drohte ein 17-jähriger Weltraum-Fan aus einem belgischen Dorf.

Tausende anonymer Hassmails aus aller Welt hatte Deutschrocker Charly Davidson Anfang Februar 2003 bekommen, seit er bei eBay Wrackteile des am 1. Februar 2003 abgestürzten Space Shuttles Columbia zum Kauf anbot … oder auch nicht, denn er formulierte es damals so: „Wrackteile des abgestürzten Space Shuttles Columbia HABE ICH NICHT ANZUBIETEN, denn ich verkaufe …“. Doch mit em Tod fremder Menschen macht man keine Geschäfte, urteilte damals eBay und nahm Davidsons Angebote schnell wieder aus dem Netz. Zeit genug aber für einige Hundert Menschen, Davidsons Angebot ausfindig zu machen und sich fürchterlich darüber aufzuregen. Einige hundert dieser E-Mails wollte Davidson vor seinem Tod im November letzten Jahres als Buch veröffentlichen - zur Überraschung der "Hassmailer", die sich für unerkennbar hielten, samt deren Namen und Kontaktdaten.

Angekündigt hatte er das Buch „Mailing for Columbia“ bereits vor Jahren in einem Interview mit dem TAGESSPIEGEL. Damals sagte Davidson (bürgerlich: Karl David Korff) auf die Frage des JournalistenHermann Nettelbeck „Wann waren Sie das letzte Mal ein wirklicher Künstler?“ so: „Das ist schon einige Jahre her. Es war beim Columbia-Absturz 2003. Da habe ich einen Tag später einzig unter künstlerischem Anspruch unter einem Decknamen im Internet Wrackteile des Space Shuttles Columbia angeboten und daraufhin in den dreieinhalb Stunden, die mir eBay das Angebot nicht löschte, Hunderte von E-Mails bekommen, teilweise mit Morddrohungen, teilweise mit Zustimmung. Daraus habe ich ein Buch gemacht, das irgendwann einmal erscheinen wird.“

Jetzt, ein halbes Jahr nach seinem Tod, stellten die Töchter und Alleinerben Davidsons in Jena das vorgefundene Buchfragment vor. „Man hört jeden Tag, dass jemand übers Internet anonyme Drohungen bekommt. Jetzt wird deutlich: Es könnten deine Nachbarn sein oder auch deine engsten Freunde“, so Caroline Korff. Das Hassmail-Buch habe ihr Vater als Fortsetzung seiner von jeher auf Provokation basierenden Kunst gesehen. „Die Kontroverse war stets sein Arbeitsmaterial", sagte sie. Ziel ihres Vaters sei hierbei gewesen, die Entlarvung einer „doppelten Moral“ zu betreiben: Die Entrüstung über vermeintlich Verwerfliches und Unrechtmäßiges durch eigenes Unrecht in verwerflicher Form.

Die Aktion ihres Vaters damals sei freilich „daneben gegangen“. Aber auch nachdem eBay die Angebote Davidsons gelöscht hatte, habe er noch heftige Kritik - bis hin zu Todesdrohungen in den betreffenden Hassmails bekommen. Dass viele davon nun nicht mehr anonym sind, sei einer jahrelangen akribischem Sucharbeit der Holländerin Betty Vogelbosch, einer von Charly Davidson beauftragten Internetexpertin, zu verdanken. Sie hatte Tausende E-Mail-Adressen anonymer Absender von einer eigens entwickelten automatisierten Suchmaschine mit Angaben in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter abgleichen lassen.

„Du bist der schlimmste Dreck, den es auf Erden gibt. Warum bringst du dich nicht selbst um?", hieß es in einer der anonymen E-Mails, der sich plötzlich Namen, Telefonnummern und Gesichter zuordnen lassen. „Ich hoffe, du krepierst in Schmerzen, während dem du in der Hölle verschmorst!“, schrieb ein anderer Hassmailer, der nicht gedacht hätte, dass er jemals bloßgestellt werden könnte.

Bei ihrer Suche stieß Vogelbosch auf ein Phänomen, wie sie gestern in Jena erklärte: „Die Verfasser anonymer Hass- und Droh-Mails sind nicht selten exhibitionistische Typen, die Hunderte Fotos von sich im Netz platzieren und alles Mögliche über sich selbst berichten.“ Mit Klagen von enttarnten Hassmailern, sofern das Buch erscheint, rechnen die Frauen nicht. „Die würden wir dann natürlich sofort wegen Bedrohung anzeigen“, sagt Caroline Korff, die nun einen Verlag sucht, der sich traut das Buch „Mailing for Columbia“ im Namen Charly Davidsons postum herauszubringen.

Keine Kommentare: