In Charlys Bloggbuch werden ab Januar 2009 regelmäßig Texte und Songtexte von ihm veröffentlicht. Heute ist es:
SELTSAM (oder: Wie ich lernte, mich nicht mehr zu verstehen)
„Was der Reaktionär sagt, interessiert nie jemanden. Weder wenn er es sagt, denn dann erscheint es absurd,noch nach einigen Jahren, denn dann erscheint es offenkundig“ (Nicolás Gómez Dávila)
Der Diskontsatz wurde abgeschafft. Hatten Sie das gewusst? Hatten Sie das überhaupt mitbekommen? Ich jedenfalls nicht. Und ich habe den Eindruck, dass man in Deutschland neben dem Diskontsatz inzwischen auch so manch anderem Satz abgeschafft hat. ... wie bitte? ... ach so, ich glaube ich sollte mich Ihnen erst einmal vorstellen.
Mein Name ist Charly Davidson, ich bin Liederpoet, Rockmacher, Literatender ohne feste Antwort, Deutschlands letzte Hoffnung auf den Popolymp, zur Zeit etwas desillusioniert, was die Tatsache angeht, von Musik und Kunst allein leben zu können. Ich mache da keine Kompromisse ... ich bin nämlich selbst einer. Schon immer gewesen und doch selten erreicht. - Jetzt also spreche ich zu Ihnen ... und das kam so:
1982 habe ich meine erste Platte gemacht. Aber Schallplatten macht man nicht einfach: Sie werden gemacht. Mit einem oder ohne einen. Ich jedenfalls machte damals gute Texte. Fünf Jahre hatte es gedauert, bis ich es von meinem Engagement bei der Politrockgruppe PROTEST (jawohl: Politrockgruppe, so lautete damals die korrekte politische Bezeichnung) geschafft hatte zur eigenen Band namens BEGLEITUNG. Charly Davidson und BEGLEITUNG; wir waren damals die Abräumer bei allen lokalen "Rock gegen Rechts"- und "Anti-Strauß"- Veranstaltungen östlichtlich des Rheins. Und dann kam das BLUE LIPS Label und wollte unbedingt eine Platte mit uns machen. So fing alles an, 1982. Kurz stellte ich mir seinerzeit die alles entscheidende Frage, ob man als "Charly Davidson" mit Deutsch-Rock Karriere machen kann. Aber unter meinem richtigen Namen Karl David Korff ging das eh nicht und waren nicht andererseits Leute wie Roy Black oder Jack White nicht auch mit englischen Künstlernamen erfolgreich. Zwar nicht im Deutschrock, aber immerhin.
1982 erschien das erste Album von Charly Davidson, die "KONTAKTAUFNAHME". Lukas Linde und ich schrieben alle Songs und ich sang, weil ich ja sowieso alle Texte geschrieben hatte. 1983 kam dann mit "DAS KLEINE MAL" die zweite Platte auf den Markt und schon ging es los mit der Frage "Wie kommen wir die nächsten drei Wochen über die Runden?". "DAS KLEINE MAL" verkaufte sich schlecht, aber wir duften noch eine weitere Platte machen und so nahmen wir 1984 die "ZEICHENSPRACHE" auf mit Erfolgsproduzent Ronny Punk. Der nicht nur so hieß, sondern auch echt gut produzieren konnte. So kam es zu meinen ersten Single-Charts-Erfolgen erst mit "Buschmann" ( B-Seite "Das Kommunikationsproblem") und dann Ende 1984 "Man soll nicht alles machen, was gut riecht". Lukas und ich hatten in dieser Zeit viel Spaß miteinander, ich meine jetzt rein musikalisch. Diese blöden Gerüchte, dass ich sch-schwul sei, nur weil Lukas schwul war. Bis heute geht das so. Und nur wegen dieser Textzeile in "Man soll nicht alles machen": "...Liebe ist grenzenlos, Liebe ist zeitlos, Liebe ist geschlechtslos, Liebe bist Du.". Den Titel "Man soll nicht alles machen, was gut riecht" haben sowieso die wenigsten verstanden. Ich wollte damit sagen: "Traue niemandem. Außer Dir selbst, vor allem wenn verlockende Angebote vorliegen" ... dieser Titel wäre aber dann doch zu lang gewesen, "Traue niemandem. Außer Dir selbst, vor allem wenn verlockende Angebote vorliegen".
Ende '84 bis Mitte '85 gingen wir wieder auf Tour und da lief dann alles irgendwie merkwürdig. Es gab damals folgende Situation. Es eröffnete sich für mich die Möglichkeit zu einer Major-Firma zu wechseln, zur GLOBA. Ein übermäßig gut dotierter Vertrag für drei Produktionen in den nächsten Jahren. Bedingung: Ich musste mich von Lukas trennen - Alternativen gab es keine. Aber, wie sag ich's meinem Partner? Wohl dem, der eine Ehefrau hat, die das ungefragt und ohne einen davon in Kenntnis zu setzen macht. Die hatte ich nun aber nicht, oder noch nicht oder nicht mehr. Ist auch nicht wichtig, denn ich habe es sowieso vergessen... ...Wie meinen? ... Mit Lukas reden? Mit dem besten Gitarristen, gerade wieder frisch gewählt in SOUNDS? Also bitte, nicht mir mir!!!
So musste ich damals eine andere Taktik wählen. Ich entschloss mich für das plötzlich auftretende Krankheitsbild. Edgar Froese fiel vom Pferd, als die '77er-US-Tour von TANGERINE DREAM abgesagt werden musste. Knöchel gebrochen. An langes Sitzen während der Auftritte war nicht zu denken. Ergo: Konzerte abgesagt. Danach Wunderheilung des Fußes, weil einer aus der Band ausgestiegen war.
Aber, was blieb mir zum Handeln übrig? Pseudo-Krebs, Blitz-Ab-Leiterentzündung, Schlag-Anfall? Kein Gedanke! Charly Davidson-Korff ging damals zu einem Psychologen, Dr. Friedrich Gabelsberger. "So, so", sagte er. "Da geht es ihnen also gerade mal so. Gerade noch mal so und so" - Es war irgendwie seltsam: Ich verstand ihn nicht. Gut, dachte ich damals, das fängt ja schön an. Aktenzeichen 1 U 1025/00 vom 24. 07. 2001, sage ich heute. So weit ging das dann später. Ich hoffe, Sie können mir noch folgen. Also: Ich verstand ihn nicht. Ich sah ihn reden, aber es kam trotzdem kein Wort aus seinem Mund. Ich sah nur die Bewegungen seiner Lippen. Und dabei konnte ich ihn trotzdem hören. Nur eben nicht verstehen (Ich möchte noch anmerken, dass ich selbstverständlich keine Drogen einnehme). Sollte ich dies doch einmal machen müssen, dann schließe ich die Augen und sehe nichts. Die drei Affen, Sie verstehen: Nichts sprechen, nichts sehen, nichts hören ... Richtig, dachte ichmir ... das wäre es doch, nein (was dachte ich damals): Das wars! Nichts hören. Einfach die Ohren zu und durch. Hörsturz. Die Fähigkeit, interessiert einem Gespräch zu folgen und trotzdem nichts zu verstehen. Wird übrigens viel öfter in unserer Gesellschaft praktiziert, als man so gemein hin hört. Philantrophen haben das vor vielen Jahren kultiviert.
Und: Eine Zeit lang nichts mehr zu verstehen, das ist doch schließlich kein Beinbruch. Oder Knöchelbruch, Blitz-Ab-Leiter-Entzündung oder Pseudokrebs. So lernte ich bei Dr. Gabelsberger, damals im Mai vor zwanzig Jahren, mich nicht mehr zu verstehen. Und es klappte: Die zusätzlichen Konzerte der Tour mussten abgesagt werden. Zum ersten Mal in meiner Karriere. Denn ich war ja krank. Vieles kann einen krank machen. Lärm, Panik, sogar echte Krankheiten. Jedenfalls manchmal. So kam es, wie es kommen musste. Lukas und ich trennten uns. Weil wir uns nicht mehr verstanden, verstehe das wer will.
Ist das nicht seltsam, wie ich lernte mich nicht mehr zu verstehen. Und das Verrückteste war: dadurch verstand ich später viele Dinge in meinem Leben besser.
Text: Charly Davidson, Verlag: worte&musik © 2004]
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