Rainer W. Sauer:
"CHARLY DAVIDSON - Rocklegende"
Plopp! Plötzlich taucht mitten in der Deutschen Musikszene ein musikalisches Paralleluniversum auf, das genau so ist, wie man die Musikszene kennt ... mit einer Ausnahme: es gibt darin einen Deutsch-Rock-Musiker namens Charly Davidson, den alle kennen, der mehr Alben in den Deutschen Top-10 hatte als Herbert Grönemeyer, der unter seinem bürgerlichen Namen Karl David Korff, nebenbei auch noch die "Lounge Musik" erfunden hat, und der Ende 2008 verstorben ist.
Rainer W. Sauer hat sich diese Szenerie ausgedacht und mit seiner "Rocklegende" den ersten Teil einer Doku-Fiction-Buchreihe geschaffen, die auch noch so etwas wie eine kleine Reise durch die Musikgeschichte der letzten vierzg Jahre sein will, denn das ist ihr Prinzip.
Die "Rocklegende" um Charly Davidson ließt sich so, als hätten Siegfried Schmitt-Joos und Frank Laufenberg eine Mischung aus dem "Rocklexikon" und dem SWF-"Pop Shop" geschrieben. Sie trieft vor rührendem Glauben an die "Tellerwäscher/Millionär"-Story, ist gelegetlich hölzern erzählt und einige Figuren wirken wie ausgeschnitten. Doch Sauers Gedankenexperiment entwickelt einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Denn die Lebensgeschichte, die die Legende entstehen lässt, hat Folgen: Davidsons Kontakt mit Mike Oldfield führt zum "Millenium Event" in Berlin, der britische Musiker Brain O-N-E (bei der man förmlich und gewollt Brian Eno vor sich sieht) erfindet für den Protagonisten ungewollt ein neues Musikgenre und ... und ... und.
Die wahre Geschichte beginnt im März 2002, als Sauer im Radio ein neues Hörspiel vorbereitet. Gerade hat er für sein Dokumentarhörspiel "9. November 1989" mehrere Preise erhalten und will nun eine fiktionales Dokumentar-Hörspiel machen. Sein Titel: "Seltsam - oder: wie ich lernte, mich nicht mehr zu verstehen", die Hauptfigur ist der (fiktive) Musiker Karl David Korff. Gerüchte halten sich nach wie vor, dass er dabei tatkräftige Hilfe von der Ehefrau eines bekannten Musiker erhalten hat, auf anwaltliches Betreiben hin, sei deren Name inzwischen aus dem Nachspann des Hörspiels gelöscht worden, heißt es; hierzu schweigt Sauer. Das Hörspiel wurde im Sommer 2002 gesendet, aber inzwischen sind tatsächlich einige Passagen hinaus-"gepiept" worden.
Aus dem Hörspiel wurde das Buchprojekt und Sauer suchte Hilfe hierfür, die ihm in Person des Philosophen, Anglisten ud Musikkenners Dr. Lutz Mühlfriedel zuteil wurde. Das war 2004 und der ermutigte Sauer einen "Was-wäre-wenn-Roman" zu schreiben. Damals legte man auch die Regeln für die Doku-Fiktion fest:
1. Regel: "Keine Schummelei bei der Musik" = Alles, was Charly Davidson musikalisch repräsentiert, soll so realistisch wie möglich sein.
2. Regel: "Fakten statt Faken" = So viele wahre Fakten aus der Musikgeschichte einarbeiten, wie möglich.
3. Regel: "Auf externen Webseiten werden so viele Informationen gegeben/hinterlegt wie möglich"
4. Regel: "Immer hinterfragen: Wie hätte die Musikszene, wie hätten die echten Musiker auf Charly Davidson reagiert?"
Das sind die Regeln, die bis heute sozusagen das Grundgesetz fr die "Rocklegende" um Charly Davidson sind.
Als Charly Davidson seinen ersten Plattenvertrag bekommt, nähert sich die Neue Deutsche Welle gerade ihrem Höhepunkt. Man schreibt das Jahr 1982, nur wenige Wochen zuvor hat Charly den letzten bundesdeutsche Rock- und Popwettbewerb gewonnen. Die anfängliche Verwunderung des Lesers dauert in der Regel nur ein paar Seiten, dann handelt er das Gelesene bereits als Fakt ab. Realismus scheint für Sauer weniger eine psychologische als eine technische Angelegenheit zu sein. "Die Rocklegende ist nicht nationalistisch oder patriotisch", sagt Rainer W. Sauer. "Es ist eine Abenteuergeschichte, eine Schatzsuche für den Leser, die zeigt, wie wichtig Wissen ist." Sauers Buch wirkt stellenweise wie eine Nacherzählung der deutschen Musikgeschichte. Die Stationen werden abgeklappert mit Charly Davidson als Held. Sein Niedergang wiederum ist eng mit einer Frau verbunden, für die wohl Long John Silver aus Stevensons "Schatzinsel" Pate stand: anfangs absolut sympatisch, bis sie ihre wahren Absichten zeigt und der große Charly Davidson wird an ihr zugrunde gehen.
Man kann die "Rocklegende" aber auch als Kommentar zur Musikszene allgemein verstehen, die so, wie beschrieben, tatsächlich agieren oder funktioniern könnte. Hier hatte Sauer sein Ohr am Puls der Zeit. Eigentlich sollte die "Rocklegende" ja eine Einzelgeschichte bleiben, sagt Sauer, vor allem, da an ihrem Ende der Protagonist nicht mehr lebt. Doch im Rahmen der Vorbereitung des Buchumfelds, die "Drumherumwelt", wie er sie nennt, aus Websites, Foren, Fanclubseiten. Webdossieres, Blogs, MySpace- und Twitter-Pages, wurden er mit Mails und Postings überschwemmt. Es schien als hätten Tausende auf eine solche Spielwiese gewartet. Die im Netz vorhandene Davidson-/Korff-Musik tut das Ihrige dazu und lässt den erfundenen Musiker wirklich erscheinen.
Seitdem wuchern wilde Diskussionen im "Licktblicke"-Forum und auf anderen Fanseiten: Was könnte Davidson noch alles aufgenommen haben, was bisher unveröffentlicht ist? Angesichts des großen Echos war es nicht überraschend, dass Sauer bereits an einem zweiten Band, dieses Mal von Charly selbst geschrieben, arbeitet, worin dieser berichtet, wie alles "wirklich" war.
Sauer herrscht allerdings in seiner ständig wachsenden "Rocklegende"-Welt nicht als Diktator, sondern beherrscht sie als Dirigent. "Meine Hauptaufgabe sind die finalen Entscheidungen, aber ich tue gut daran, die Geschichten und Ideen der Fans mit sanfter Hand einzuarbeiten." Denn die Fanbeiträge hält er für unerlässlich für die Zukunft der Werkes. "Ich will, dass sich Charly Davidsons Geschichte in bisher unvorhersehbare Richtungen bewegt - und selbst mich überrascht." Er möge diese Art zu arbeiten. "Im Grunde funktioniert die Musikszene und -geschichte doch genauso, nämlich unerwartet."
Geschrieben von Uwe Pistor
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