Mittwoch, 29. Juli 2009

Mittwoch, der 29. Juli 2009

17 TAGE EUROPA
(Charly Davidsons Sommerreise 2002)
Montag / 2002-07-29
Der fünfte Tag / Chalon-sur-Saône | St. Remy
DALÍ IST ÜBERALL

Der nächste schöne Sommertag. Blauer Himmel, kaum Wolken, flirrende Hitze. Genauso soll es vor 112 Jahren gewesen sein, so wird berichtet. Kurz vor der Abreise in den Süden nach Arles mache ich noch einmal Station an einer ur-deutschen Bastion europäischem Zusammenwachsens. Neugierig, ob die Albrecht-Brüder es auch den Franzosen zu verdanken haben, zu Europas Geldadel aufgestiegen zu sein und wie es die Grande Nation mit dem Lokalpatriotismus hält, wenn Billigpreise locken, betrete ich einen ‚Aldi Marche‘ in St. Remy. Tatsächlich - schon von außen war zu bemerken, dass man im Begriff war, einem Aldi-Supermarkt zu betreten. Die gleichen Klinkersteine, der gleiche Braun(!)ton der Türrahmen und Schaufenster, die gleichen Neonröhren wie in Wanne-Eickel, Jena, Bamberg und wahrscheinlich auch in Barcelona oder Lissabon.

Schon beim Betreten - ich rede jetzt hier nicht vom erstmaligen Betreten eines Aldi-Marktes, sondern von Betreten ohne Schamgefühl, ganz so als ob man wie ganz selbstverständlich einen Pornofilm anschaut und nicht vorgibt, dies nur aus wissenschaftlichem Interesse zu tun - also: Schon beim Betreten fühlt sich der Käufer auf der sicheren Seite. Fast alles ist so wie gewohnt. Der Kaffee steht da, wo er immer steht.

Ah! Da hat jemand den Wein anders plaziert; überhaupt gibt es hier viel Wein, aber man ist ja schließlich auch in Frankreich. Dafür fehlen die verschiedenen Wurstsorten im Kühlregal. Es gibt nur Schinken und Salami und Pasteten. Aber: Die Schokolade ist da, wo sie sein soll, ein paar Schritte nach rechts und man findet tatsächlich die Schokoladenkekse ‚Duo‘. Die haben auf ihrer Schokoladenseite aber den Eifelturm eingeprägt, nicht eine Burg wie in Deutschland. Auch der Löwenriegel mit Karamel ist da, wo er hingehört. Gegenüber lernt man, dass Erdnüsse zwar auch in Frankreich wie Erdnüsse aussehen, dafür aber Cacahuettes heißen. Und man sieht Oliven mit Paprikafüllung und, man glaubt es nicht, Oliven mit Anchauvi-Füllung, was wieder einmal beweist, dass der Franzose an sich ein Gourmet ist.

Ein paar Produkte haben es sogar von Frankreich aus in deutsche Regale geschafft, wie zum Beispiel der Frischkäse „Lys“, mit Kräutern, Walnüssen oder Pfefferinhalt. Die Schokolade, ich hatte es eben vergessen zu erwähnen, kommt nicht wie in Deutschland aus Niebüll oder anderen Grenzorten; in Frankreichs Aldi kommt die Schokolade aus der Schweiz! Neben mir lädt eine allein erziehende Mutter mit ihrem drei- bis vierjährigen Sohn den Einkaufswagen kunstfertig so voll, dass sie später an der Kasse 1 ½ Transportbänder braucht um alles wieder zum Bezahlen zu plazieren. Ihr Sohn beherrscht neben seinem üblichen Wortschatz vor allem das Wort „Mamam“, das er bis zu zwanzig Mal in der Minute aufsagen kann.

Vor allem aus diesem Grund denke ich, dass sie allein erziehend war, denn ein Vater hätte es kaum mit diesem Energiebündel ausgehalten. Er turnt an den Regalen umher, wie einst Lord Greystoke im Dschungel Afrikas, benutzt die letzte Verkaufsmöglichkeit vor der Kasse als Reck, spielt Hütchen mit Waschmittelpackungen und gewinnt natürlich immer, nimmt Mamam ein bißchen ihrer Arbeit ab und beläd den Wagen schon wieder bevor bezahlt wurde. Mamam und die Kassiererin sind gnädig und lachen über den Kleinen. Dann holt Mamam eine Kreditkarte aus de Portemonet und zahlt damit. Bei Aldi! In Deutschland ist man da noch nicht soweit; es soll aber bald kommen.

Die Aldipreise sind unschlagbar niedrig in St. Remy. Selbst der benachbarte Carrefour-Markt kommt nicht annähernd an den Discounter ran und Monoprix ist sowieso zu teuer. Monoprix ist ohnehin nichts für den kostenbewußten Franzosen oder sein weibliches Pendant. Hier kaufen die Patrioten und Veteranen, die niemals dem Erzfeind zum nachträglichen Sieg verhelfen würden.

Da sind die allein erziehenden Mütter schon ganz anders. Für die sind nämlich 15 Euro immer noch 15 Euro und für die bekommen sie bei Aldi in St. Remy eine ganze Menge. Vielleicht sogar einmal einen neuen Vater für den Sohn. Falls Aldi irgendwann einmal Männer an die Kasse lässt.

Auf jeden Fall war das heutige Erlebnis für mich ein klein wenig „surrealdi“, was wiederum belegt, dass Dalí überall ist und sich manchmal sogar - ohne dass man dies bemerkt - in einem Discounternamen versteckt.

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