Sonntag, 2. August 2009

Sonntag, der 2. August 2009

17 TAGE EUROPA
(Charly Davidsons Sommerreise 2002)
Freitag / 2002-08-02
Der neunte Tag - Teil 1 / Colmar
GEDANKEN ÜBER DIE EUROPÄISCHE ESSKULTUR

In Freiburg aß ich gestern in einem wirklichen Nobelrestaurant mit Namen Nordsee. Es gab ein Menue aus paniertem Seelachs mit Salat von Kartoffeln und Sauce Remoulade. Und eine Gaudi dazu. Da wagte doch tatsächlich ein älterer Herr, ich denke er war schon weit über siebzig Jahre alt, der Chefin des Cuisines zu sagen, dass dies ein Sauladen sei. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Nämlich ein Ungeziefer auf der Toilette. La Coucaracha habe er, so der alte Herr, eigenfüßig erlegt. Das brachte die Chefin derart in Rage, dass sie in einer Mischung aus Schwizer-Dütsch und tiefstem Schwarzwald Dialekt, den Mann des Restaurants verweist. Dieser sah dafür aber keinen Grund und blieb.

Da versuchte die Chefin es mit dezenter sanfter Gewalt und rief die Polizei. Die kam, sah (auf der Toilette nach) und besiegte die Geschäftsführerin, indem sie die Feststellungen des Gastes bestätigte. Aber weil nicht sein kann, was nicht sein darf, war der Chefin die Sache gleich klar: Der ältere Herr muss das Ungeziefertier selbst dort deponiert haben. Warum? - Schweigen. - Um vielleicht die Zeche zu prellen, die er ja schon beim Essenfassen gezahlt hatte. Entschuldigen wollte sich die Dame jedenfalls nicht, der Herr habe sie beleidigt und sich im Lokal unflätig benommen. Da könne man nichts machen, sagte der Polizist und verwies den Gast mit dem Ausdruck des Bedauerns des Lokales. Und man merkte ich, dass ich wieder in Deutschland war.

Jetzt aber ist die
Nordsee vergessen und befinde ich mich wieder in der Grande Nation, erreiche gleich Colmar. Dort suche ich Des Tanneurs Winstub, in der ich schon vor Jahren speiste, finde sie auch nach einigem Suchen. Aber dort hat man keinen Platz mehr für mich und bittet höflichst darum, das nächste Mal vorher zu reservieren. Das werde ich machen. Das nächste Mal ... in zehn Jahren.

Nach einigem Suchen finde ich dann doch noch einen Ort mit Platz und Charme:
Fleuris Winstub. Madame Fleuri ist eine Frau in den späten Fünfzigern und recht rundlich, was aber ihrer guten Laune keinen Abbruch tut. Mit jedem Gast redet sie ausschließlich französisch, nimmt aber ebenso wohlwollend in Deutsch Änderungswünsche am Essen entgegen. Ich bestelle das Touristen-Menue Nummer 2 mit einem Zwiebelkuchen vorneweg, einer Sauerkrautplatte mit deftigem Fleisch, tränenauslösendem Ultra-Dijon-Senf, verschiedenen Würsten, Kartoffeln und als Nachtisch gibt es Munsterkäse mit Trauben, einem bisschen Salat und reichlich Kümmel.

Zigaretten möchte ich noch und das löst in Fleuris Winstub betriebsame Hektik aus; da war doch noch was mit Zigaretten, spricht man und dann wird gemeinsam gesucht. Nach einigen Minuten intensiven Suchens präsentiert man mir den Humidor des Chefs. Erwartungsvoll schaue ich zu, wie er geöffnet wird, und: Zur allgemeinen Überraschung aller Anwesenden liegen darin nicht weniger als fünf Schachteln Marlboro Light.

Trotz einiger Bedenken bezüglich der Meinung des nicht anwesenden Chefs, ob man überhaupt etwas abgeben kann, möchte man sich dann doch schweren Herzens von einer dieser Packungen trennen und gibt mir eine kleine Schachtel Streichhölzer dazu.

Während meines Essens, welches ich, trotz dunkler Regenwolken, vor der Winstub im Freien einnehme, bekommt Madame Fleuri Besuch. Zwei ähnlich junge Damen begrüßen sie, Fleuri begrüßt zurück und man unterhält sich im besten Elsässisch. Und diesmal verstehe ich fast alles. Es sind Freundinnen, die sich seit einem guten Jahr nicht mehr gesehen haben und man unterhält sich über alles, was in der Zwischenzeit so angefallen ist. Als man sich verabschiedet, ist Madame glücklich - und spricht gleich danach wieder französisch.

Das Essen, das sollte ich nicht verschweigen, ist übrigens hervorragend gewesen. Wohlgenährt und mit einem frischen Munsterkäse, der den Magen aufräumt, mache ich mich gegen 12 Uhr 30 auf in die Vogesen.

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