Dienstag, 7. Juli 2009

Dienstag, der 07. Juli 2009 / Edit

REDEN IST SILBER, SCHREIBEN IST GOLD
- Der WECKER im Gespräch mit einer Rocklegende -
(Teil 1 in der Juli-Ausgabe 2009)

Sandra Prechtel von der Schüler- und Jugendzeitschrift WECKER gelang ein außergewöhnlicher Coup: sie bekam die seltene Gelegenheit mit Rainer W. Sauer, sonst eher als medienscheu bekannt, über dessen Buch "CHARLY DAVIDSON - Rocklegende" zu sprechen. Es entwicklete sich hieraus ein interessanter Einblick in das Werk mit fast schon philosphischen Zügen.

WECKER: "CHARLY DAVIDSON - Rocklegende" heißt Ihr neues Buch. Die Story vom Aufstieg und Fall eines deutschen Rockstars ist präzise, verständlich, regt zum Nachdenken an, stets verbunden mit einem kleinen Aha-Erlebnis. Wie kamen Sie auf die Idee?

SAUER: Diese Frage ist legitim, ist aber sehr schwierig zu beantworten, vor allem nicht in Kürze. Ich schreibe fast jeden Tag, das ist ein fester Bestandteil in meinem Leben. In meinem Beruf als Verwaltungsbeamter schreibe ich dienstliche Sachen, zuhause oder in der Freizeit Prosa. Aber man kann sagen, dass ich täglich irgendetwas schriftlich festhalte, das ist also ein kontinuierlicher Prozess. Ich protokolliere, das, was ich erlebt habe, erfinde Dinge hinzu und habe das Privileg, dass ich mich im Falle der "Rocklegende" im Thema auskenne.

WECKER: Dachten Sie über manche Teile des Buches ganz konkret nach oder fiel Ihnen Manches ganz spontan ein?

SAUER: Ein Buch zu schreiben ist kein Freejazz, wo irgendein Motiv da ist und man improvisiert darüber und beobachtet, was passiert. Wer Ihnen so etwas erzählt, und ich kenne einige Autoren, die das tatsächlich von sich behaupten, der schwindelt Sie an. Bei einem Roman, weniger bei einer Erzählung, hat man ein Gerüst, baut daraus das Haus und am Ende richtet man es so lange ein, bis man sich wohlfühlt.

WECKER: Ist die "Rocklegende" nun ein Roman oder eine Erzählung? Zweite Frage: Oscar Wildes "Das Gespenst von Canterville" ist eine Erzählung, hat aber auch zwei Teile, wie Ihre "Rocklegende, Es beginnt als Gesellschaftssatire, die Wilde im Stil einer Burleske weiterführt und dann romantisch-sentimental ausklingen lässt. Auch die "Rocklegende" hat Stiländerungen - haben Sie sich da von Wilde leiten lassen?

SAUER: Es ist interessant, dass Sie Oscar Wildes "Gespenst" erwähnen. Das hat zwar mit meinem Buch im Grunde nichts zu tun, aber dabei fiel mir ein, dass "Das Gespenst von Canterville" Wildes erstes erzählerisches Werk als Schriftstellers war. Aus diesem Geichtspunkt heraus betrachtet, kann es da schon Parallelen geben, die mir noch gar nicht aufgefallen sind.

WECKER: Und was ist mit dem Genre: ist die "Rocklegende" Roman oder Erzählung?

SAUER: Erst einmal ist es Literatur. Der Roman verpflichtete sich immer auf die Form der Erzählung. Spannung der Erzählung gehört also zur Romankunst. Von einem Roman kann die Gesellschaft verlangen, dass er , ich nenne es einmal „höhere“, Sinnangebote macht, somit ein Angebot großer Kunst ist, die vermeintlich zeitlose Qualitäten aufweist und seinen jeweiligen Leser über die Zeiten hinweg anspricht. Ein Roman sollte, von seinem Ideal her, deshalb nicht trivial sein. Allerdings führte im Lauf des 18. Jahrhunderts die epische Länge von Romanen paradoxer Weise dazu, dass lange Erzählungen als Romane bezeichnet wurden und kurze Romane als Novelle oder Erzählung. Konkret würde ich die "Rocklegende" als Erzählung sehen, was ja auch passt, weil "Das Gespenst von Canterville" ebenfalls als Erzählung gilt. Dagegen gilt Snoopys, völlig zu unrecht kaum beachteter, Roman, der insgesamt nur 214 Worte hat, als vollwertiger Roman mit drei Handlungsbögen und einem tiefen Lebensverständnis.

WECKER: Wie heißt der Roman? Ich muss ehrlicher Weise zugeben, dass auch ich bis jetzt noch nie von diesem Roman gehört habe.

SAUER: "Snoopys Roman" von Charles M. Schultz

WECKER: Fiktionalität ist das meist genannte Definitionskriterium der "Rocklegende". Wie viel Wahrheit steckt im Buch?

SAUER: Ich denke mehr als genug.

WECKER: Wo besonders und bei welchen Personen weniger?

SAUER: Es gibt so eine urdeutsche Art des Kritisierens, des Analysierens und Zerpflückens, die umso mehr zunimmt, wenn es um das Fiktive geht. Das ist in den letzten Jahrzehnten in Deutschland eine Art Mode geworden, ein Selbstläufer. Man zweifelt an allem, ist aber nicht bereit, überhaupt den Versuch zu machen, daraus eigene positive Werte zu schöpfen. Da ist es schwer eine Handlung, ein Leben völlig zu erfinden. Nähert man sich aber Dingen an, die tatsächllich vorgefallen sind, dann sagen viele Menschen: das hat er da und da geklaut. Also war das Entwerfen und Schreiben der "Rocklegende" mitunter harte Arbeit.

WECKER: Womit kann man Sie ärgern?

SAUER: Mit Vorwürfen, die nicht zutreffen. Zum Beispiel, dass es im Buch nur um oder über den einen oder einen anderen Menschen geht, was nicht stimmt. Charly Davidson verkörpert Hunderte von Existenzen in sich.

WECKER: Und was machen Sie, wenn Sie sich darüber ärgern?

SAUER: Meist bleibe ich nett und reagiere mich dann später ab, wenn niemand zuschaut.

WECKER: Sind Sie nachtragend?

SAUER: Überhaupt nicht. Wer hat die Unverschämtheit, das zu behaupten? Ich will Name und Adresse? (lacht!)

WECKER: Wovor haben Sie Angst?

SAUER: Ich habe Angst davor, dass es mit Deutschland weiter bergab geht. Ich sehe zu viele Menschen der jungen Generation, die, geblendet von der vermeintlichen Sicherheit, der Staat sei finanziell immer für sie da, ernsthaft an ein Lebensziel als Soap-Darsteller, Topmodel oder Superstar glauben. Ich habe Angst vor einer Gesellschaft in der jeder nur auf sich bedacht ist, ohne Nächstenliebe, Respekt und Vertrauen. Denn die schlimmste Angst, die ein jeder Mensch hat, ist die, dass er plötzlich alleine dasteht.

WECKER: Wovor haben Sie noch Angst?

SAUER: Wenn Sie damit auf das Ende von Charly Davidson anspielen - doch: auch vor dem Sterben habe ich Angst. Ich empfinde es nach wie vor als gottgegeben, dass jeder Mensch irgendwann einmal von dieser Welt abtritt und da mir noch kein anderer Fall persönlich bekannt ist, glaube ich vor allem daran. Was danach sein wird, keine Ahnung ... oder sagen wir mal: Ahnung vielleicht, aber keine Sicherheit. Es wäre natürlich schön, diese Sicherheit zu haben, ganz ruhig darauf zuzugehen, wie ein religiös gläubiger Mensch. Ich bin mir da aber nicht sicher, auch wenn ich an ein Fortbestehen auf einer andern Ebene hoffe.

[... to be continued next week ...]

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