Donnerstag, 30. Juli 2009

Donnerstag, der 30. Juli 2009

17 TAGE EUROPA
(Charly Davidsons Sommerreise 2002)
Dienstag / 2002-07-30
Der sechste Tag / St. Remy | Mâcon | Lyon | Orange | Arles | Saint-Marie-de-la-Mer
ABSTECHER ANS MEER, OHNE ES ZU BETRETEN

In Mâcon fängt der Süden Frankreichs an, so hat man mir gesagt - Mâcon ist sozusagen die nördlichste Stadt Südfrankreichs. Dass Mâcon vor vier Tagen Ankunftsort der vorletzten Etappe der Tour de France ’02 war, sieht man noch überall. Stolz wie echte Sportler fahren die Gelegenheits-Sportler durch die Stadt. Selbstverständlich nicht auf dem Fahrrad. Dafür gibt es ja die Tour. Nein: Der junge urbane Franzose bewegt sich auf dem Motorrad durch die Gassen, dies mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit, aber gekonnt. Die junge urbane Französin aus der Region Burgund zieht da eher das Automobil vor, denn wenn sie auf dem Sozius sitzen würde, dann täte sie das bestimmt nicht lange - dies bedingt das Gesetz der Schwerkraft. Sie fährt also Auto und dies mit ebenso irrwitziger Geschwindigkeit wie igr männlicher Gegenpart auf dem Motorrad. Dass beide keine schweren Unfälle verursachen, liegt in der Natur der Sache, denn beide bewegen sich so schnell im Straßenverkehr, dass die Chance eines Zusammenpralls reziprok zur Geschwindigkeit sinkt.

Diesmal habe ich für meine Fahrt die Landstraße gewählt, nicht wegen der jungen urbanen Französinnen, sondern weil sie nicht so stark befahren ist, wie die Autobahn und man links und rechte auch viel mehr sehen kann. Es ist nach wie vor heiß. Je weiter ich nach Süden vorstoße desto mehr Sonnenblumenfelder sehe ich und natürlich auch Kornfelder, die teilweise gerade frisch gemäht werden. Ich denke an den Mann, der gestern vor 112 Jahren gestorben ist. Er liebte diese Felder sehr und malte sie immer und immer wieder. An seinen Bruder schrieb er einmal: „Je mehr man liebt, um so tätiger wird man sein, so glaube ich, denn Liebe, die nichts weiter ist als Gefühl, möchte ich nicht Liebe nennen.“.

Immer heißer wird es und richtig, auf meiner Reiseroute des heutigen Tages liegen laut „Le Figaro“ die heißesten Orte Frankreichs an diesem 30. Juli. Dazu zählt auch Orange, die Stadt, der die Holländer ewig dankbar sein müssten, denn ohne sie und ihren Namen gäbe es die Oranier nicht, deren britischer Zweig jedes Jahr geräuschvoll durch Belfast marschiert, dessen niederländischer Stamm aber seit dem Abfall von Spanien (passend auf den Tag genau vor 421 Jahren ... man lese bitte nach bei Friedrich Schillers grandiosem Frühwerk „Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischem Regierung“) das Land der Windmühlen und auch die Heimat des Mannes, der vor 112 Jahren verstarb, regiert und den Oranje-Kult einst kreierte.

In Orange in Frankreich waren früher mal die Römer ansässig und so gibt es hier noch ein fast unbeschädigtes Amphietheater - falls wir heute Open-Air-Bühne dazu sagen würden, Jacques Tati würde mit dem Kopf schütteln, obwohl es durchaus richtig wäre. Das Amphietheater hat noch die originale Bühne und ein echter römischer Augustus-Kopf aus Marmor steht daneben. All das hat die Jahrtausende überwiegend unbeschädigt überstanden und ich betrachtete es mir in einem heißen und staubigen Orange. Ja, es ist durchaus staubig geworden, heute im Rhônetal.

Am Mittag verlasse ich Orange wieder und fahre noch weiter südlich bis nach Arles, der Stadt, die der durch eigene Hand verstorbene heilige Vincent so geliebt hat. Oft malte er dort die Landschaften der Umgebung von Arles (Anmerkung: Das „es“ in „Arles“spricht der Franzose nicht aus; die Stadt wird also einfach „Arl“ genannt) in leuchtenden Farben oder Details aus der Umgebung, wie die Brücke oder die Fischerboote beim nahe gelegenen Saint-Maries-de-la-Mer, wohin ich anschließend weiterfahre.

Saint Marie ist Wallfahrtsort der Gypsies, die wir Deutschen allerdings trotz Goran Bregovics „Time of the Gypsies“ und den musikalischen Erfolgen der GYPSY KINGS nach wie vor Zigeuner nennen. In Saint-Marie-de-la-Mer waschen sie ihre Madonnenstatue und das scheint gar nicht mehr so lange hin zu sein, denn bei der Aldi-Discounter-Konkurrenz von Lidl (bei dem ich natürlich und neugierigerweise ebenfalls einkaufe) fand ich ein Dutzend weiblicher Gypsies? ... oder wie nennt man sie sonst? OK! Ich gebe mich geschlagen ... in Deutsch: Zigeunerinnen. Auch sie sind anscheinend äußerst preisbewusst.

Mit selbst muß ich eingestehen, dass ich mich in Saint-Marie-de-la-Mer bei Lidl noch besser zurechtgefunden habe als zuvor bei „Dali“, gibt es doch hier noch mehr identische Produkte der deutschen Lidl-Märkte, viele sogar mit deutschem Erstaufdruck und die französische Zigeunerin muß dann auf der Rückseite nachlesen, um was es sich bei dem angebotenen Produkt handelt. Auch in Saint-Marie-de-la-Mer kann man mit Kreditkarte zahlen und davon hatten die ... äh ... GypsiInnen ... jedenfalls hatten sie eine Menge davon.

Saint-Marie-de-la-Mer liegt auch nahe Marseille, der Stadt von der die Franzosen die Marseillaise übernommen haben und als Ausgleich nordafrikanische Einwohner bekamen. Deshalb wundert es mich nicht, wenn bei Lidl neben ... einigen wir uns endgültig auf: Romanistinnen ... auch Algerierinnen einkaufen. Dies muss Lidl vorher gewusst haben, denn man kann hier bei Lidl etwas kaufen, was es sonst nirgends gibt: Couscous. „Voorgekookt“ besagt die Packung und „Eerste Kwaliteit“. Das macht neugierig und tatsächlich stammt das Couscous nicht direkt aus Afrika sondern wurde in Belgien für Lidl „geproduceerd“. Deshalb auch die Angaben zu „Ingredienten“ und „Energetische waarde“ auf der Packung – ob das die algerische Mutter mit drei Kindern und einem vierten im Bauch interessiert? Auf jeden Fall ist Saint-Marie-de-la-Mer damit ein weiterer Beweis für das Zusammenwachsen Europas, jedenfalls beim Essen.

Natürlich kann man auch im Meer baden gehen. Mir war es jedoch zu voll am Strand, zweitens war ich keine Madonna, drittens lagen keine Fischerboote im Sand und ins Meer gehen kann man schließlich woanders auch. Viel interessanter war für mich die Feststellung, dass die jungen urbanen Französinnen und Franzosen hier noch eine Ecke schneller fahren als in Mâcon. Ob das an der Nähe zu Marseille liegt oder an den Filmen des Cinema Noire mit Lino Ventura, Alain Delon oder Philippe Noiret? Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht, denke aber dass sich aus den cineastischen Verfolgungsjagden der ur-menschliche Jagdtrieb wieder neu gebildet hat und viele Franzosen denken anscheinend, dass die ganze Welt denkt, dass Franzosen einfach so fahren müssen, und deshalb fahren sie so. Könnte darin nicht ein Körnchen Wahrheit liegen?

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