Freitag, 31. Juli 2009

Freitag, der 31. Juli 2009

17 TAGE EUROPA
(Charly Davidsons Sommerreise 2002)
Mittwoch / 2002-07-31
Der siebente Tag / Saint-Marie-de-la-Mer | Arles | Orange | Lyon | Macon | Chalon-sur-Saône
PRINZENWETTER

Die Sonne brennt den sechsten Tag, der Wind wird immer stärker, alles ist voller Staub und so fahre ich von der französischen Küste wieder nach Norden, denn da soll es ab Mittag laut Le Figaro (einer Zeitung, die ihren Namen nach dem geschwätzigen Frisör erhielt, der immer und ewig alles über alle in der ganzen Stadt zu berichten wusste) bewölkt sein - ein bisschen weniger Sonne könnte mir schon gefallen. Eher zufällig bemerke ich, dass der Wind in die falsche Richtung bläst, nicht rhôneabwärts, wie er es als braver Scirocco macht, sondern rhôneaufwärts, Richtung Norden. Etwas hat den Wind gedreht oder er hat sich von selbst gedreht.

Die Hektik des
Sud hinter mir lassend bin ich wieder auf der Landstraße unterwegs zurück nach Chalon-sur-Saône. Ich muss an Antoine de Saint-Exupéry denken. Er war damals auch nach Norden unterwegs gewesen mit dem Wind im Rücken, die Sonne und den Staub hinter sich lassend, damals am 31. Juli 1944. In einem Doppelrumpf-Flugzeug startete er von der Insel Korsika Richtung Norden zum französischen Rhônedelta und kehrte nie mehr zurück. Seine Geschichte des kleinen Prinzen hatte er da bereits geschrieben, aber wegen des Krieges war sie noch nicht veröffentlicht.

Die Idee zur Geschichte über den melancholischen Prinzen war
de Saint-Exupéry gekommen, weil er selbst in der Familie als kleiner Junge immer nur Le Roi-Soleil, also der Sonnenkönig, genannt worden war. Jeden Sommer durfte er Monate auf einem Schloß in Savoyen verbringen und im Winter war er in Südfrankreich an der Cote d’Azur. Antoine war wirklich ein verwöhnter Sonnenkönig ... was lag da näher, als ihn in der Wüste einen kleinen Prinzen treffen zu lassen?

Antoine
de Saint-Exupéry wollte Erfinder werden, Dichter oder Pilot. Die riesigen Besitzungen seiner Familie wollte er mit einem ausgeklügelten Bewässerungssystem versehen, exakte Planungen stellte er an. Und er lernt fliegen, damit er alles von oben aus besser sehen kann. Aber das Fliegen an sich kann auch langweilig werden. Also denkt sich der Sonnenkönig Geschichten aus mit amüsanten Titeln wie: Autobiographie eines Zylinders. Er schreibt die Geschichten auf in kleinen Hefte. Ärgerlich, dass man diese nur zur Kenntnis nimmt, um seine völlige Ignoranz der Regeln der Rechtschreibung zu kritisieren. Das st nicht sein Metier! Er ist ein Träumer und verlegt sich daher auf die schönen Künste, studiert Architektur und verdingt sich als Statist beim Theater. Seine Familie unterstützt ihn Zeit seines Lebens großzügig, fördert jede, auch nur so kleine Neigung Antoines immer wieder aufs Neue.

Im Frühjahr 1921 wird
de Saint-Exupéry in die französische Armee einberufen, lässt sich einer Luftwaffeneinheit im Elsass zuteilen. Nach einiger Zeit haftet ihm der Ruf an, ein Bruchpilot zu sein und so wird er schon bald nach Le Bourget in den Innendienst.versetzt. Schon wieder diese Ignoranz; versetzt hatte man ihn nur, weil er seinen ersten Alleinflug mit qualmendem Motor und versengter Uniform absolviert hatte. Aber seinen Spitznamen hat er da schon weg: Pique la Lune - der Franzose weiss, was damit gemeint ist. Sein Offizier ist sich sicher: Der Kerl wird nicht im Bett sterben.

Nach einem spektakulären Absturz quittiert er schon 1923 den Dienst, versucht sich als Geschäftsführer einer Ziegelei, dann einer Autofirma und wechselt wieder zurück zur Fliegerei, wird Postflieger in Südamerika. Endlich findet er einen Freund, der auch seine Erzählungen: André Gide. Ihm schickt er fortan alle seine Geschichten und längeren Werke. Dieser notiert 1931: „Antoine hat aus Argentinien ein neues Buch und eine neue Verlobte mitgebracht. Habe das eine gelesen, das andere gesehen. Habe ihn herzlich beglückwünscht.“

Im zweiten Weltkrieg ist er auf Korsika stationiert. De Saint-Exupéry erlaubt sich einige Alleingänge, die das Militär nicht gerne sieht, aber es ist ja schließlich Krieg und gerade bei den Fliegern braucht man jeden Mann. Am 31. Juli 1944 startet Antoine de Saint-Exupéry wieder einmal ohne Erlaubnis zu einem Aufklärungsflug, so nennt man einen Flug ohne festes Ziel. Es wurde sein Flug in die Ewigkeit.

Bei meinem 'Flug' zurück in die Mitte Frankreichs stimmt diesmal die Richtung der Sonne für die Photos und hinter Orange hole ich die Kamera wieder aus dem Versteck. Man hatte mich vor Südfrankreich gewarnt: Die Menschen dort wären sehr arm, hätten kaum eigene Autos aber sie besäßen eine große Leidenschaft für das Fotografieren. Deswegen mögen sie manche Dinge eben sehr gerne besitzen. Ich traf leider keine solchen Menschen; gerne hätte ich mich mit Ihnen unterhalten.

Am frühen Nachmittag hatte ich drei Filme verknipst und war wieder in Chalon. Wie schön es doch ist, eine flüchtige Bekannte wieder zu treffen und die noch frische Erinnerung nochmals auffrischen zu können. Zeit für einen literarischen Nachmittag und Abend mit Wind und gelegentlichem warmen Nieselregen bei 27 °C. (...) So geht für mich der Juli 2002 in Frankreich zu Ende. Zwei Tote sind zu beklagen, die vielleicht noch länger gelebt hätten, wenn sie in ihrem jeweiligen Leben einige Dinge anders betrachtet oder gewertet hätten. Wer weiß? Und die Antwort hierauf, die kennt nur der immer stärker werdende Wind.

Morgen früh werde ich in Richtung des Elsaß fahren (vielleicht finde ich ja den Flughafen, den Antoine seinerzeit nur kurz kennenlernen durfte) und ich mache dabei sogar noch einen kleinen Abstecher zurück nach Deutschland, um ein Paket mit französischem Käse, das die Familie bei mir bestellt hatte, per Deutscher Post nach Hause zu schicken.

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