Sonntag, 21. Dezember 2008

Sonntag, der 21. Dezember 2008

ABSCHIED VON CHARLY

Er war hoffnungslos hilfsbereit und grenzwertig grenzüberschreitend: Mit einer bewegenden Trauerfeier haben Hunderte Freunde und Wegbegleiter von Deutschlands Rockidol Charly Davidson Abschied genommen. Die beruhigende Botschaft: "Er hat im Leben alles mitgenommen und nichts ausgelassen."


"Wie er war?", Helmut Prosa zieht an seinem Zigarillo. Die Luft in 'Gooddies Bar' ist voll Qualm, denn viele von Charlys Wegbegleitern, die sich vor der Trauerfeier hier eingefunden haben, sind Raucher. "Ein Freund, ein großartiger Musiker, ein ebenso großer Seelsorger, einer, der für viele zu viel war." 'Gooddies Bar' in Erlensee war oft die Anlaufstation nach Produktionen in Charly's Studio in Hanau-Steinheim.

Jahrelang hat der rothaarige Österreicher mit Charly Davidson zusammengearbeitet. Jetzt ist er aus Norddeutschland gekommen, um Charly das letzte Geleit zu geben. Ob es ihn traurig stimme, den Freund zu verlieren? "Unendlich", sagt Prosa, fügt aber an: "Es ist okay. Er hat ein Leben gelebt, für das andere drei gebraucht hätten."

Bevor Prosa sich aufmacht zum großen Treffen auf dem Hanauer Friedhof, zieht er seinen schwarzen Hut tief ins Gesicht. Bleigrau und regenschwer ist der Himmel über Hanau, außerdem gilt es, sich vor den Fotografen zu schützen - nur zu gerne würden sie Tränen in Prosas Gesicht zur Schlagzeile machen; die künstlerischen Wege von Davidson und Prosa hatten sich vor einiger Zeit getrennt und unter den etwa 600 Trauergästen wimmelt es nur so von echten und Leser-Reportern.

"Wenn alle gekommen wären, die mit ihm künstlerisch im Bett waren, hätte es eine Schlange bis zum Rathaus gegeben", witzelt Franz Rauch, der Impressario aus Frankfurt ('Hitman & Rauch'), der so viele Konzerttouren mit Davidson organisiert hat. Freunde und Wegstreckenbegleiter waren unter den Trauernden, doch auch die hohe Politik ließ sich blicken: "Er war sehr eigen, ein bisschen chaotisch, man konnte ihn nicht in Schubladen pressen", erinnert sich Claudia Roth, die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.

Langsam setzt sich der Trauerzug in Bewegung Richtung Birkenhainer Straße. Man sieht viele Sonnenbrillen und blasse Gesichter, etwas wintersteif stakst die bunt zusammengewürfelte Gemeinde über den regennassen Asphalt. "The harder they come" klingt aus einem Lautsprecher, so wie es Charly sich gewünscht hatte: eine Hommage an den 1995 verstorbenen und von Charly verehrten INTERZONE Sänger Heiner Pudelko und dessen Song "Ruth".

Designer Götz Werner ist im knöchellangen, weißen Webpelz erschienen. Mit treuherzigem Augenaufschlag beklagt er die zunehmende Kommerzialisierung des Musikgeschäftes: "Originale wie Charly sterben aus. Es geht nur noch um Kohle." Regina 'Gooddie' Schwarz aus der gleichnamigen Bar sieht es gelassener: "Charly hatte ein erfülltes Leben. Er hat alles mitgenommen und nichts ausgelassen. Fast alle Stammgäste in meiner Bar sind hart am Wind."

Charly Davidson, der Vater der Lounge-Musik und Deutschlands "letzte Hoffnung auf den Pop-Olymp", Sänger Multi-Instrumentalist und Studiobesitzer, war am 28. November im Alter von knapp 51 Jahren bei einem verunglückten Gleitschirmflug auf den Kanarischen Inseln gestorben. Davor gab es Gerüchte, Charly sei ernsthaft krank, leide nicht nur an Diabetes. "Das hat ihn belastet. Deshalb hat er ständig so getan, als sei er kerngesund", erzählt Sabine, eine Nachbarin von Charly, fügt dann aber an: "Für den Flug hat er monatelang hart trainiert und war, soweit ich das beurteilen kann, körperlich fit." Sabine und ihr Mann hatten als gute Freunde des Verstorbenen den Trauermarsch mitorganisiert.

In den achtziger Jahren war Davidson durch Musikerfolge und Talk-Show-Auftritte sowie eine große Medienpräsenz zur nationalen Musik-Ikone aufgestiegen. Charly kämpfte aber auch außerhalb der Musik, zum Beispiel für die Rechte von Prostituierten. Prominente scharten sich um ihn, der große Poet Wolf Wondratschek schwärmte von ihm. Helmut Prosa sieht es im Rückblick weniger poetisch: "Er hat mit den Medien gespielt und mitgespielt, dafür haben die Medien ihm bisweilen böse zugesetzt."

Juliane Schönborn ist seit 2003 Pastorin der evangelischen St. Ignatius Kirche in Steinheim. Obwohl Davidson an vielen Orten zuhause war und nur eher selten nach Steinheim kam, erklärte sie sich sofort bereit, die Trauerfeier abzuhalten. "Steinheim ist ein Dorf, wo man gemeinsam Abschied von den Toten nimmt. Schließlich war er hier jedem bekannt", sagte sie. "Unsere Kirche steht offen für die Wunder, aber auch die Wunden der Lebens".

Voll besetzt bis auf den letzen Platz waren Trauerhalle und Trauerzelt am vergangenen Freitagnachmittag. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft, der eine oder andere hatte wohl auf das Wohl der Verstorbenen eine selbstgedrehte Zigarette geraucht. Die Urne war geschmückt mit roten Rosen und wirkte fast ein bisschen klein zwischen den Kränzen und Gebinden. "Tschüß Charly, deine Davidson-Gang", stand auf einem Gebinde, der "Verdi-Fachbereich 13" kondolierte auf einem anderen.

Davidsons ganzes Leben sei Musik gewesen, viel Liebe und die Fähigkeit, Anderen Freude zu bereiten, sagte Pastorin Schönborn in ihrer Predigt. "Sein sechstes, siebtes oder achtes Lebensjahrzehnt hätten wir gerne noch gesehen, seine künstlerischen Werke dieser Dekaden gerne noch erlebt". Die Grenzüberschreitung, für viele Thema Nummer eins, wenn es um Charly Davidson geht, spielte in der Predigt jedoch kaum eine Rolle.

Legendär und unverbesserlich war aber auch Davidsons Hang zur Freigiebigkeit. "Finanziell bin ich nicht lebensfähig, ein Träumer", hatte Davidson einmal über sich gesagt. Immer wieder enganierte er sich für Projekte, die er finanziell unterstützte und die selten das Geld wieder einspielten. Natürlich wurde er bisweilen auch betrogen und hintergangen, das hinderte ihn aber nicht daran, weiterzumachen. Gooddie erzählt: „Charly hatte ein ganz einfaches Motto. Er sagte immer: 'Du musst nur warten können. Irgendwann kriegt jeder das, was er verdient, für das, was er im Leben getan hat'“.

Keine Frage: Mit einer Trauerzeremonie wie der vom Freitag, zelebriert die Szene auch ein wenig selbst den Mythos der eingeschworenen Gemeinde, die auch bei Tod und Mistwetter und schlechter Geschäftslage nicht die gute Laune verliert. Natürlich wissen alle, dass diese Zeiten längst vorbei sind, dass abgefuckte Kommerzialität, designte Musikerkarrieren und ein schnelles Verfallsdatum des Erfolgs den bundesdeutschen Musikbetrieb beherrschen. Umso wichtiger scheint es da, Flagge zu zeigen und sich auf Musiker mit Charisma und Tradition zu berufen. Einen davon haben sie nun verloren, hoffentlich nicht den letzten ihrer Art. Ein wenig ängstlich macht es aber schon, wenn mit Davidson wohl auch dessen Musikverlag zu Grabe getragen wird: ‚The Spirit of Germany‘.

Aus Hanau berichtete Philipp Enzmann

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