Dienstag, 4. August 2009

Dienstag, der 4. August 2009

17 TAGE EUROPA
(Charly Davidsons Sommerreise 2002)
Sonntag / 2002-08-04
Der elfte Tag / Saarbrücken | Koblenz | Köln | Essen | Dortmund | Essen | BAB 3 Raststätte Hünxe
DON QUIXOTE DE LA RADIO

In Saarbrücken fand ich endlich die Raststätte meiner Reise, auf der am wenigsten los war. Gestern Nacht hatte ich schon Douglas Adams zitiert. Nur Trucker sagten sich dort Gute Nacht und folglich bekam man in der Raststätte alles, was nach dem Klischee das Truckerherz begehrt. Blinkende Lämpchen, Fensterdekorationartikel, kleine Fernseher, Schals mit Namen wie „Iveko“, „Werner“ oder „Türkei“, jede Menge Hefte, auf deren Titelbild frierende junge Damen Chrom liebkosen, CB-Funk Accessoires, Kaffee pur, Kaffee als Dosengetränk, Kaffee in Schokoladenform, Kaffee als Tablette. Sind Trucker wirklich so?

Weiter fahre ich über Koblenz, Köln und Essen nach Dortmund; Ankunft am Mittag. Obwohl oder gerade weil am frühen Morgen, so gegen fünf oder sechs Uhr, das
Juicy Beats-Elektromusik-Festival im Westfalenpark zu Ende gegangen war (man konnte es im gesamten Ruhrgebiet über die Uni-Radios hören und ich muss sagen, ich höre gerne Radio), sah man in der gesamten Innenstadt, vor allem aber in Bahnhofsnähe, die menschlichen Nachwirkungen der Elektronikmusik auf die Raver: Die Techno-Beats noch in den Köpfen, lagen sie zwischen Beeten und Büschen. Ob dies wirklich die Antwort des Ruhrpotts auf die Loveparade gewesen war? Schade, ich wäre gerne dabei gewesen und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Beziehungsweise der Anblick der in Dortmund verblieben Raver. Ich würde sagen 25 % schliefen friedlich im Freien, 40 % in der Chillout-Lounge des passenderweise technisch und kalt wirkenden Bahnhofs und 35 % hüpften wie die Affen durch die Innenstadt, hangelten von Baum zu Baum und versuchten die unerwarteten Nebenwirkungen pharmazeutischer Präparate auszuhalten. Das „...größte deutsche Festival elektronischer Musik...“ hatte 10.000 Besucher angelockt, konnte man im Radio hören. Halb so viel wie erwartet. Der Regen am Nachmittag, so die Veranstalter, sei dafür verantwortlich. Klar: Irgendeinen Grund gibt es immer und das Wetter ist schließlich höhere Gewalt. Da braucht man sich dann offiziell keine Gedanken mehr über Veranstaltungsmängel zu machen. Nur um das fehlende Geld.

Weiter geht es von Dortmund nach Holland. Auf dem Weg dorthin wird weiter Radio gehört und zwar natürlich holländische Sender. Das ist Pflicht, denn Holland hat eine echte Radiokultur. Da gab es zum Beispiel
Radio Veronica, dem ersten echten Piratensender, der in den frühen Siebziger Jahren von einem Schiff außerhalb der 3 Meilenzone vor Hollands Küste das sendete, was andere Sender nicht spielen wollten oder konnten. Bei Veronica konnte man aber seinerzeit nicht nur Musik hören. Man bekam auch, jedenfalls, wenn man zuhörte, alles erklärt, was man rund um die Musik wissen musste. Das war damals einmalig, gehört in der heutigen Zeit jedoch zum Pflichtprogramm jedes guten Senders in Europa.

Überhaupt erklären die Holländer ihren Zuhörern im Radio sehr viel. Wenn zum Beispiel in Israel eine Autobombe explodiert und Menschen sterben, dann ist diese traurige Nachricht den Radioleuten in Haarlem mindestens folgende Erklärung wert (Anmerkung: Dramatisiert und ohne wirkliche Kenntnis der Sprache nachempfunden!):

„In Israel is vor wenigliche Stonden enne Expolsioon geweese. Et hat moiglicherwese einige doode gegebe. Man weerd aber noch de weitere Entwickling abwoorde müsse. De Explosioon scheint von enner Bombe geweese tu sin, die in enne Automobeil deponeert woorde iss.“ - Diese Art der jahrzehntelangen positiven Berieselung hat meiner Ansicht dazu geführt, dass die Menschen der Niederlande eine gute Allgemeinbildung und jede Menge Hintergrundwissen besitzen. Von den Entwicklungen im Sport und im Musik- und TV-Showbuisiness einmal ganz abgesehen, aber die hatte ich ja schon erwähnt.

Auch die Stufe der lockeren Radioberichterstattung, die man in den Niederlanden inzwischen erreicht hat ist erstaunlich. In einer Reportage über Straßenmusikanten in Uttrecht werden auch die Zuhörer befragt und die geben gerne Auskunft darüber, warum sie den wackeren Musikanten nur 2 Cent gegeben haben. Und der Eindruck bleibt: Die Holländerinnen und Holländer sind immer gut drauf und haben keine Hemmungen über alles zu sprechen. Tabus gibt es kaum, aber immer kommt das, was man sagt und empfindet irgendwie nett rüber.

Ich bin heute etwas müder als sonst. Warum, das kann mein Körper mir nicht sagen. Aber er ruft nach einer
Auberge, ganz wie im Lied von Chris. Erstaunlich, was es so alles gibt. Die Raststätte Hünxe kommt da wie gerufen und ich lege mich erschöpft schlafen. Und träume von einem elektronischen Radio, das immer und immer wieder Kraftwerks Autobahn abspielt. So lange, bis es selbst eine Autobahn ist, mit Radiostationen als Raststätten - oder sind es Leuchttürme? Ein Don Quixote kämpft gegen die Flügel holländischer Windmühlen. Und ich stehe am Rande, eine Pfeife im Mund wie Jacques Tati, und wundere mich über die Geschwindigkeit, mit der der Fortschritt fortschreitet.

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