Sonntag, 2. August 2009

Sonntag, der 2. August 2009 / Edit

17 TAGE EUROPA
(Charly Davidsons Sommerreise 2002)
Freitag / 2002-08-02
Der neunte Tag - Teil 2 / Colmar | Epinal | Nancy | Verdun
KLARES KALTES WASSER

Frankreich kann auch ganz anders sein, das habe ich im Elsaß festgestellt und das zeigt sich nun auch in den Vogesen. Durch die muss man nämlich fahren um von Colmar nach Nancy zu kommen. Ich dachte mir vorher: Vielleicht existiert tatsächlich abseits der Autobahnen eine andere Kultur, die weniger hektisch, mehr beschaulich, mehr alltäglicher ist, und genauso war es. Mann muss auch nicht immer über Vittel fahren um die Vogesen kennenzulernen. Vittel ist zudem viel unscheinbarer als der Eindruck erahnen lässt, den sein Name auf dem internationalen Wassermarkt hat.

Ich fahre statt dessen mitten durch die Vogesen. Allerdings auch durch den Nebel; der liegt als Ergebnis der letzten beiden feuchten Tage auch am frühen Nachmittag noch schwer auf den Wäldern. Wenige Fahrzeuge kommen mir entgegen, und wenn, dann mit Nebelscheinwerfern und teilweise hupend um vor noch dickeren Schwaden zu warnen. Aber ich denke
Alles was beginnt, geht irgendwann einmal zu Ende, die Vogesen sind zuallererst ein Gebirge und irgendwo ist das Gebirge am höchsten und der Nebel hat ein Ende.

Es ist schon so gegen vierzehn Uhr als es plötzlich und unerwartet passiert: Der Nebel reisst ab, über den Wipfeln der Bäume ist die Sonne, dazu strahlend azurblauer Himmel und einige weisse Wolken. So muss die französische Fahne entstanden sein; das Rot des Blutes der Revolution kam dann später noch hinzu. Um mich herum Unmengen von saftigen grünen Tannen, gemischt mit einigen Laubbäumen und nach etwa zwanzig Minuten weiterer Fahrt ein kleiner See, noch bedeckt von Nebel. Ich halte an, denn das interessiert mich. Gut, in der Ebene gibt es Seen, die heizen sich am Tag so weit auf, dass das Wasser am frühen Morgen immer noch wärmer ist als die sie umgebende Luft. Das gibt dann Nebel. Aber hier? Vielleicht war das kalte Wasser an diesem See durch vulkanische Kräfte erwärmt worden.

Als ich aussteige fröstelt es mich. Es sind wohl nur um die 12 °C Lufttemperatur und das erklärte auch den Nebel. Langsam gehe ich zum Rand des Sees und nehme meine, man möge mir diese Blasphemie in den Vogesen verzeihen, leere Flasche PERRIER (aber schließlich steht auf dem Etikett zu lesen:
Déclarée d’intéret public) und fülle etwas Wasser ein. Ich bin mutig genug anzunehmen, dass das Wasser trinkbar ist, vergesse jegliche Vorsicht, die man mir in meinen 44 Jahren moderner Kultur beigebracht hat, und trinke drei Schlucke des Seewassers. Es ist tatsächlich kaltes klares Wasser.

So schön ist es hier, dass ich hier gleich auch noch etwas essen will. Natürlich ein Baguette, einige ‚tranches‘ Rosette auf meiner demi-sel Butter und meinem Camembert
Moulé à la Louche de Normandie, das ganze Auto riecht inzwischen danach, denn es ist schon der dritte und gekauft hatte ich ihn als MonoPrix Gourmet, womit auch die Handelskette verraten sei, bei der ich ihn erstanden habe. Eigentlich will ich doch noch nach Nancy. Und jetzt sitze ich immer noch hier und es ist schon bald vier Uhr und ich schreibe dies alles in meinen Labtop und kann es nicht fassen. Ein Sinnspruch passt hier, er ist von Buddha und Mike Korff hatte ihn mir gestern mit auf den Weg gegeben: „Suche nicht den Weg zum Glück, denn das Glück ist der Weg.“ Wie wahr!

Eine Geschichte lohnt es noch zu erzählen, weil sie so kurz ist und trotzdem passierte. Allerdings aus verständlichen Gründen nicht in den Vogesen. Als ich vorgestern auf einer Raststätte in der Bourgogne war, hielt hinter mir ein junger Mann mit einem braunen Autmobil und direkt hinter ihm ein silbernes Automobil, dem zwei Polizisten entstiegen. Beide aber nicht im gleichen Zivil, wie ihr Fahrzeug sondern es waren richtige Flicks mit dem blauem Hut, den ich früher immer den Fremdenlegionären zurechnete, und der originalen Uniform französischer Polizisten. Derart unauffällig sind also Frankreichs Zivilbeamte, wenn sie Verbrecher jagen; hier waren sie wohl auf der Jagd nach einem gefährlichen Terroristen, denn als der junge Mann seine Papiere präsentiert hatte, fuhren beide wieder unverrichteter Dinge davon. Ebenso wie der junge Mann schaute auch ich ihnen lange hinterher, denn man weiss ja nie, ob nicht vielleicht doch noch irgend etwas ungewöhnliches passiert.

Hier in den Vogesen aber war ich vor derart Zwischenfällen sicher. Und ich genieße die Ruhe und Abgeschiedenheit und fange an zu träumen. Nachdem ich so gegen halb fünf Uhr ausgeträumt und meinen Abfall sorgfältig wieder im Fahrzeug verstaut habe, führt mich mein weiterer Weg nach Nancy. Dort halte ich aber nur kurz an und fahre dann weiter über die Landstraßen nach Verdun.

Mit dieser Stadt ist für immer eines der dunkelsten Kapitel französich-deutscher Geschichte verbunden. Vor neunundzwanzig Jahren war ich schon einmal mit einen Eltern dort gewesen. Zu jung damals, um alles zu verstehen. Jetzt, unter anderem dank meiner Lektüre Kurt Tucholskys, besuche und versuche ich Verdun ein zweites Mal. Antoines Flugplatz kann ich auch später noch besuchen.

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