Samstag, 22. November 2008

Samstag, der 22. November 2008

DAS FOLGENDE ESSAY SCHRIEB ICH 1993 ANLÄSSLICH DES SILBER- JUBILÄUMS DES WEISSEN BEATLES-ALBUMS, WELCHES AM 22. NOVEMBER 1968 ERSCHIENEN WAR:

„All right ... all right ... all right ... all right ... all right ...“, grölt Boggi den Polizisten entgegen. Keine Ahnung warum, aber so, wie er das über die Barrikade schreit, klingt es gut: „Don't you know it's gonna be ... all right ... all right ... all right!". Es ist Ende 1978 und wir demonstrieren in Frankfurt am Main vor einer Druckerei, um die Auslieferung der BILD-Zeitung zu verhindern, die wieder einmal tendentiell falsch über Hausbesetzer in Bockenheim geschrieben hatte oder schreiben wollte. Boggi und Bockenheim, das passt, und Boggi ist vielleicht deshalb der Lauteste und Verrückteste von uns. Wir, das sind die Mitglieder der Politrockband FLIESSBAND. Von der Demo hatten wir im selbstverwalteten Fechenheimer JuZ erfahren und so wir standen nun dort mit vielen Anderen vor der Ausfahrt, allerlei Sperrmüllgerümpel lag herum und ein Bauwagen von einer nahen Baustelle wurde hin und her geschaukelt. „All right ... all right ... all right ... all right ... all right ...“, singt unser Bassist Boggi in Richtung Polizisten.


Es sind Textbrocken aus dem Beatles-Song „Revolution“ - warum als Schlachtruf, das weiß Boggi wohl selbst nicht so genau in dieser Absurdität einer Demo mit Happening-Charakter zehn Jahre nach 1968. Als berittene Polizei in die Menge galoppiert, stürmt die in Panik auseinander. Unsere Karriere als Hobby-Revolutionäre war damit gleich wieder beendet, die geballte Faust in der Hosentasche blieb bei mir allerdings zurück. Und die akustische Erinnerung an jene wilden Demo-Tage, wobei in meinem Kopf kein einziger Satz der damaligen Prä-Grünen Bewegung aus 'Anti-Atomkraft'-, 'Keine Starbahn West'- oder 'Rock gegen Strauß'-Bewegung hängen blieb - nur das Rückkopplungspfeifen der Megaphone und Boggis „All right“, entnommen einem Klangereignis, das ebenfalls zehn Jahre zuvor die Welt eroberte und veränderte, ein weißes Musikwunder von John, Paul, George und Ringo mit dem schlichten Titel "The Beatles". Mag sein, daß andere Bands oder Interpreten vor fünfundzwanzig Jahren, als ich anfing, mich bewusst für Musik zu interessieren, radikaler, pointierter, konsequenter waren: STEPPENWOLF, Hendrix, die STONES. Aber es waren aus meiner Sicht die BEATLES, die den Zeitgeist von 1968 musikalisch trafen und konservierten, wie sonst niemand.

Von Juni bis Oktober arbeiteten sie an den Songs ihres Doppelalbums, das - wie mir später meine BEATLES-Bibel von Hans Rombeck und Wolfgang Neumann verriert - am 22. November 1968 erschien und voller magischer Momente ist. Ausgerechnet an dem Tag, als sowjetische Panzer in der Tschechoslowakei einrollten (und ich mit meinen Eltern am Kahler See war), nahmen die Vier im Studio 2 der Abbey Road ihr witzig gemeintes
Back In The USSR auf. Bei Lennons sanfter Revolution“ (der, die Boggi unters Volk schrie; nicht die hate der B-Seite von Hey Jude) schien es mir, als wenn Schiffe bei einer begeisterten Hafeneinfahrt ihre Nebelhörner klingen lassen würden; da war John Winston seiner Zeit schon zehn Jahre voraus. Mit allen Songs auf diesem Album verbinde ich etwas: in meinem ersten LiveImRadio-Date unterhielt ich mich 1977 mit Henning Vensks über (na klar!) einen Song aus dem weißen Album und zwar die „Piggies“. Ich erkärte den Menschen an den Radios, daß damit keine Tiere sondern Menschen gemeint seien. Damit nahm George seinem Macca auch nicht den tierischen Effekt des federleichtem Blackbird singing in the Dead of Night“, was er auch nicht brauchte, da er sich ja kurz vor dem Ende von Seite 1 bereist etwas außerordentliches geleistet hatte: die erste Gitarre, die wirklich weinen konnte vorzustellen, und die dies - wie mir ebenfalls meine BEATLES-Bibel verriert - dank Eric Clapton auch wirklich tat.

Natürlich hatte ich 1968 bereits Album-Fragmente wie „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ und die „Lady Madonna“ bewusst gehört, genauso wie ich mich noch genau daran zurückerinnere, 1965 auf dem Schulweg aus dem Fenster eine Kneipe „Can’t Buy Me Love“ gehört zu haben. Und 1969 laß ich im STERN davon, daß Charles Milles Manson seine Massaker mit dem Hinweis auf den BEATLES Song
„Helter Skelter“ begründet hatte. Aber das komplette Doppelalbum hörte ich erst 1973, also fünf Jahre später, als ich mir es aus der Stadtbücherei leihen konnte. Was war das für ein Erlebnis: Ich hörte zum allerersten Mal „Good Bye“ (das ich später selbst ins Deutsche gecovered habe), „Rocky Racoon“, „Bungalo Bill“, „Why Don't We Do It In The Road“, „Birthday“, „Cry Baby Cry“, plus all die anderen Songs, die ich schon genannt habe (oder die man unten noch einmal nachlesen kann) sowie ... noch immer bekomme ich Gänsehaut, wenn ich daran denke ... „Number Nine, Number Nine, Number Nine, Number Nine ...“. Immer leiser werdend, um dann wieder als Hintergrundklang aus dem Chaos eines absurden, experimentellen Musiktheaters anzuschwillen: „... Number Nine, Number Nine, Number Nine, Number Nine“. Das toppte damals locker meine bisherigen Highlights in dieser Richtung, nämlich Klangelebnisse aus der Zappa-Welt und daran kommt auch das viele Jahre später entstanden Intro der Fools Ouvertrure von SUPERTRAMP (das es ohne Number Nine“ so wohl auch nie gegeben hätte) heran. Noch heute ist es ein Erlebnis, wenn ich den Titel anhöre und ich darf behaupten, daß er auch mich so beeindruckt hat, daß ich mir in meiner Electronic-Folk-Zeit in den späten Siebzigern gerne ähnlich geartete Klangcollagen ausdachte.

Doch zurück zum Thema: Das Lebensgefühl dieses turbulent-schillernden Jahres 1968 knistert in jeder einzelnen Rille dieses phänomenalen Albums, das ein musikalisches Kaeidoskop ist, von all dem, was die Kultur der jungen Menschen damals prägte. Und noch heute schüttele ich fasziniert den Kopf ob dieser widerspenstigen Mixtour aus zeitlosen Klassikern und grandios hingerotzten Songs voller Ehrlichkeit: „I'm So Tired“, das kann man nicht empfinden, das ist man. Und es ist zugleich ein unvergleichlicher Abgesang auf den 'Summer Of Love' und die darauf folgende Protest-Kultur. Was sich auch an Boggi manifestierte. Er gab kurz nach der Demo den abstrakten Don't you know it's gonna be ... all right ... all right ... all right!-Schlachtruf auf und widmete sich seiner Freundin Biggi, weshalb er danach oft zu spät und zudem aufgelaugt zur Probe kam. Auf unsere Bitten, das doch zukünftig nicht wieder zu machen, sagte Boggi nur grinsend: Happiness is a warm Gun“.

1. Platte, A-Seite: "Back In The U.S.S.R." / "Dear Prudence" /"Glass Onion" / "Ob-La-Di, Ob-La-Da" / "Wild Honey Pie" / "The Continuing Story Of Bungalow Bill" / "While My Guitar Gently Weeps" / "Happiness Is A Warm Gun"
1. Platte, B-Seite: "Martha My Dear" / "I'm So Tired" / "Blackbird" / "Piggies" / "Rocky Raccoon" / "Don't Pass Me By" / "Why Don't We Do It In The Road?" / "I Will" / "Julia"

2. Platte, A-Seite: "Birthday" / "Yer Blues" / "Mother Nature's Son" / "Everybody's Got Something To Hide Except Me And My Monkey" / "Sexy Sadie" / "Helter Skelter" / "Long, Long, Long"
2. Platte, B-Seite: "Revolution" / "Honey Pie" / "Savoy Truffle" / "Cry Baby Cry" / "Revolution # 9" / "Good Night"

THE BEATLES (1968, DoLP): 12 von 5 Sternen ************


(Bitte nicht als CD kaufen; die Magie entfaltet sich nur bei einem Vinyl-Exemplar!)

AM HEUTIGEN TAG WOLLTE ICH DARAN NUR NOCH EINMAL ERINNERT HABEN. ÜBRIGENS: BIS HEUTE HABE ICH MIT DAS ALBUM NICHT ALS CD GEKAUFT SONDERN HÖRE NOCH IMMER MEIN EXEMPLAR MIT DER NUMMER 0284355 = Quersumme Neun (!).
EUER CHARLY

Keine Kommentare: